Raketenmänner (German Edition)
ist mit Stephan Moses? Warum ist er verschwunden?«
»Er ist nicht verschwunden«, sagte Wolff. »Es sucht nur niemand nach ihm.«
Jonas schüttelte den Kopf. »Unvorstellbar! Der Mann, der die schönste deutsche Platte aller Zeiten gemacht hat – und niemand baut ihm ein Denkmal.«
»Du versuchst es doch«, sagte Wolff und lächelte.
»Ich spiele eines seiner Lieder. Und ich darf es mit Ihnen spielen, mit einem, der damals dabei war. Bei allem. Ich weiß nicht, ich mag diese ganze Siebzigerjahre-Geschichte, die Mellow Mafia rund um so Typen wie James Taylor oder Jackson Browne. Es war immer uncool, aber ich habe eine Schwäche dafür.«
»Lass uns Musik machen«, sagte Wolff.
Sie standen auf und gingen ins Studio hinüber. Mike sah ihnen nach. Jenny kam und setzte sich in den Sessel neben seinem.
»Das ist Ihr Vater?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Mike.
»Er sieht gut aus.«
Mike sah sie an. »Was spielt das für eine Rolle?«
»Ich mein’ ja nur.«
Wolff setzte sich an den Flügel und fing an, etwas zu spielen. Jonas setzte sich auf den Stuhl, nahm die Gitarre und stimmte sie.
»Er kann das, während der andere spielt«, sagte Jenny. »Die Gitarre stimmen, meine ich. Er kann die Gitarre ganz sauber stimmen, auch wenn um ihn herum die Welt untergeht.«
Mike nickte nur. Er blickte durch die Trennscheibe und dachte: So ist es immer gewesen, der eine im Hellen, der andere im Dunkeln.
»Ich finde es toll, wenn man nach all den Jahren noch so ein gutes Verhältnis zu seinem Vater hat.«
Mike sah sie an und überlegte, ob er ihr sagen sollte, dass er seinen Vater vor dem heutigen Tage nur ein einziges Mal gesehen hatte, mit sechs Jahren, in einem Garten, das wusste er noch, er wusste nur nicht mehr, in welchem. Die Sonne hatte geschienen, und ein anderes Kind hatte Seifenblasen gemacht. Wolff hatte sich erst zu Mike heruntergebeugt und war dann in die Hocke gegangen, daran konnte sich Mike ganz genau erinnern, nicht aber daran, was Wolff gesagt hatte. Danach hatte es ein paar Briefe gegeben, und die Mutter hatte einiges erzählt. Sie hatte nur gut über Wolff geredet. Solange er klein war, war Wolff für Mike ein Held gewesen, der sich nur einfach nicht persönlich blicken ließ. Als Mike älter wurde, hatte er ihn naturgemäß eine Zeit lang gehasst. Irgendwann hatte er gedacht, dass das zu einfach war: einen Vater hassen, der sich nicht wehren konnte. Mike hatte seinen Frieden gemacht und sich alle Geschichten über den Vater noch einmal angehört. Und seine Mutter, in ihren Sechzigern und krebskrank, hatte alles so gerne erzählt. Auf welchen Platten Wolff mitgespielt hatte, auch wenn es nicht draufstand; wen er alles kannte und wem er geholfen hatte. In den Sechzigern hatten Moses und Wolff zuerst in London gelebt, den frühen Hendrix mitbekommen und sich im Dunstkreis der Stones bewegt. Um 1970 hatte es sie nach Kalifornien gezogen, zu den Männern und Frauen mit den langen Haaren und den bloßen Füßen und den akustischen Gitarren. Mikes Mutter hatte ihm Bilder gezeigt von Menschen, die mit seinem Vater befreundet waren. Auf einigen Bildern hatten Grüße gestanden: For Mike, Best regards, Joni. For little Mikey, Love Carole. Michael – The Promise of a Man, Dream up! Neil. Seine Mutter hatte die dazugehörigen Platten rauf und runter gehört. Wolff war nur einmal nach Deutschland zurückgekommen, nämlich um mit Stephan Moses dessen Album Raketenmänner aufzunehmen. Moses hatte gemeint, so amerikanisch es sich anhören müsse, so dringend müsse es aber in Deutschland produziert werden. Er könne nicht mit amerikanischen Musikern an deutschsprachigen Songs arbeiten. Wolff hatte ihn mal gefragt, wieso es denn unbedingt deutsche Texte sein mussten, und Moses hatte geantwortet, dass er immer noch auf Deutsch denke und auf Deutsch träume. Außerdem könne man als Deutscher keine englischen Texte schreiben, wenn man sich erst mal mit Bob Dylan beschäftigt habe.
In dieser Zeit, als Moses Raketenmänner aufnahm, war es auch zu der Begegnung im Garten gekommen.
Wolff und Jonas spielten einen Blues. Immer eine gute Sache, um warm zu werden, dachte Mike. Jenny wirkte gelangweilt und kaute auf ihrem Kaugummi herum. Der dicke Junge drehte an Knöpfen. Irgendwann stand er auf und justierte die Mikrofone im Studio, drückte das eine weiter in den Flügel, rückte das andere etwas weiter von Jonas’ Gitarre weg, dafür das dritte näher an dessen Mund.
»Normalerweise«, sagte das Mädchen, »nehmen
Weitere Kostenlose Bücher