Rambo
bemerkbar. Bald würde es zu spät sein. Die Sirenen kamen immer näher. Vielleicht war es die Feuerwehr. Aber vielleicht auch die Polizei. Mach schon, Teasle! Er hörte, wie sich die Leute, die vorher auf der Veranda gestanden hatten, im Haus unterhielten. Ängstliche Stimmen. Er sah sich um, ob vielleicht noch jemand auf der Veranda war – vielleicht mit einer Waffe – und, mein Gott, da kam Teasle vorne über den Rasen! Vor Schreck feuerte Rambo instinktiv. Teasle schrie auf, überschlug sich und landete auf dem Gehsteig. Rambo konnte sich nicht erklären, warum er selbst plötzlich schwerelos zu sein schien, herumgeschleudert wurde und mit dem Gesicht ins Gras fiel. Seine Hände, die er gegen die Brust gepreßt hatte, wurden warm und feucht, und dann klebrig. Mein Gott, er war getroffen worden! Teasle hatte auf ihn geschossen und ihn verwundet. Seine Brust war gefühllos, wie gelähmt. Er mußte weg. Die Sirenen!
Er konnte nicht aufstehen und krümmte sich am Boden. Neben dem Haus war ein Stacheldrahtzaun. Dahinter schattenhafte Umrisse, riesenhaft groß. Er konnte nicht sehen, was es war, obgleich sie von dem Feuer im Gerichtsgebäude und im Polizeirevier hell beleuchtet waren. Er strengte seine Augen an und sah allmählich deutlicher. Luftschaukeln, Rutschbahnen, ein Karussell. Ein Spielplatz. Er kroch auf dem Bauch darauf zu. Das Knistern der Flammen fegte wie ein Sturmwind durch die Bäume.
»Ich brauche meine Flinte«, rief der Mann im Haus. »Wo ist meine Flinte?«
»Nein«, sagte eine Frauenstimme. »Geh nicht hinaus! Halte dich da raus! Bitte!«
»Wo ist meine Flinte? Wo hast du sie wieder hingetan? Ich habe dir doch gesagt, du sollst sie nicht immer wegräumen.«
Rambo schob sich, so schnell er konnte, auf den Ellbogen vor, gelangte bis ans Gartentor, öffnete es und kroch auf den Knien hinaus. Auf den Holzbohlen der Veranda waren jetzt Schritte zu hören.
»Wo ist er?« fragte die Männerstimme, jetzt laut und deutlich. »Wo ist er hin?«
»Da drüben!« schrie eine Frau. Der Stimme nach war es dieselbe, die ihn vorhin von der Veranda aus gesehen hatte. »Da ist er. Beim Tor!«
Ihr Arschlöcher, dachte Rambo und blickte hin. Der Mann stand beim Geräteschuppen und richtete seine Flinte auf ihn. Er sah etwas unbeholfen aus, als Rambo feuerte. Er schlug auf dem Fahrrad auf, das an dem Geräteschuppen lehnte und unter ihm zusammenbrach, und das sah wieder äußerst unbeholfen aus.
»Mein Gott, er hat auf mich geschossen«, stöhnte er, sich an die Schulter greifend. »Ich bin getroffen. Ich bin angeschossen.«
Er hatte Glück gehabt. Rambo hatte die Schulter getroffen. Er konnte nicht mehr richtig sehen und den Revolver ruhig halten. Es war hoffnungslos, noch entkommen zu wollen oder sich wirkungsvoll zu verteidigen. Rambo dachte an die Stange Dynamit, die er noch in der Tasche hatte. Ach was, Scheiße. Er hatte nicht mehr die Kraft, sie zwei Meter weit zu werfen.
»Er hat mich angeschossen«, stöhnte der Mann. »Ich bin getroffen.«
Ich ja auch, Freundchen, dachte Rambo, aber deshalb brauchst du nicht so zu jammern. Er wollte jetzt nicht einfach liegenbleiben und kroch langsam weiter. Teasles Kugel hatte ihn genau zwischen seine gebrochenen Rippen getroffen und der Schmerz raubte ihm fast die Besinnung. Er riß sich mit den Fingernägeln fast die Brust auf und kroch bis zu einem kleinen, trockengelegten Teich auf dem Kinderspielplatz. Vor Schmerz bäumte er sich auf und schleppte sich bis zu dem Zaun, der den Spielplatz abgrenzte. Er war ziemlich niedrig, und Rambo beugte sich darüber und warf die Füße in die Luft. Er schlug einen grotesken Purzelbaum und fiel auf der anderen Seite in ein Gebüsch. Wilde Brombeeren. Hier war er doch schon mal gewesen. Er erinnerte sich nicht, wann, aber er war ganz bestimmt schon einmal hier gewesen. Nein, er irrte sich. Das war Teasle gewesen, der oben in den Bergen ins Brombeergestrüpp geflüchtet war. Ja, das war es. Teasle war ins Gestrüpp geflüchtet. Jetzt war es umgekehrt. Jetzt war er an der Reihe. Die Stacheln taten ihm direkt wohl. Sie rissen ihm den Schmerz aus der Brust. So war Teasle entkommen, durch die gleichen Brombeerbüsche. Warum nicht auch er?
19
Teasle lag auf dem Gehsteig auf dem Rücken. Er blickte nicht einmal zum Feuer hin, sondern starrte fasziniert auf die gelbliche Straßenbeleuchtung. Wenn es Sommer wäre, dachte er, würden Mücken und Motten um die Lampe flattern. Dann wunderte er sich, warum er an so etwas gedacht
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