Rambo
hatte. Er wandte den Blick von der Lampe ab, blinzelte und drückte beide Hände auf seinen Bauch. Es erstaunte ihn, daß er außer einem starken Kitzeln im Bauch nichts verspürte. Er wußte, daß er auch im Rücken ein großes Loch hatte, aber auch dort kitzelte es nur. Wie konnte eine so schwere Verwundung ihm nur so geringe Schmerzen bereiten, dachte er. Es war, als ob sein Körper ihm nicht mehr gehörte.
Irgendwo in der Nähe der Brände hörte er die Sirenen heulen. Zuerst nur wenige, dann immer mehr. Manchmal ertönten sie von weit her und manchmal waren sie ganz in der Nähe, hier in der Straße. »Hier in der Straße«, sagte er, nur um seine eigene Stimme zu hören. Sie klang so schwach, als hätte sein Körper sich von ihm losgelöst. Er bewegte erst das eine Bein, dann das andere, hob den Kopf und krümmte den Rücken. Wenigstens hatte die Kugel ihm nicht das Rückgrat zerschmettert. Trotzdem liegst du im Sterben, sagte er sich.
So ein großes Loch und so wenig Schmerzen, – das ist ein sicheres Zeichen, daß du stirbst. Er war erstaunt, daß er so ruhig darüber nachdenken konnte.
Er betrachtete das brennende Gerichtsgebäude. Sogar das Dach brannte. Dann die Polizeiwache, wo aus allen Fenstern Flammen schlugen. Dabei habe ich alles eben erst frisch streichen lassen, dachte er.
Er sah, daß jemand neben ihm auf dem Pflaster kniete. Eine alte Frau. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie sanft.
Allerhand, dachte er. Soviel Blut, und trotzdem scheut sie sich nicht, mir ihre Hilfe anzubieten. »Nein. Nein, danke«, sagte er schwach. »Ich glaube nicht, daß Sie noch etwas für mich tun können. Außer, wissen Sie vielleicht, ob ich ihn getroffen habe? Ist er tot?«
»Ich glaube, er ist umgefallen«, sagte sie. »Ich wohne hier im nächsten Haus. Neben dem Polizeirevier. Aber ich weiß nicht genau, was inzwischen alles passiert ist.«
»Ach so.«
»Mein Haus brennt auch schon. Im Nebenhaus ist jemand erschossen worden, glaube ich. Soll ich Ihnen eine Decke bringen? Und Wasser. Ihre Lippen sind ganz trocken.«
»Sind sie das? Nein. Nein, danke.«
Es war wirklich erstaunlich, wie weit entfernt seine Stimme klang, während ihre ganz laut und deutlich zu hören war. Und die Sirenen. Ganz laut in seinem Kopf, es war alles umgedreht. Er schien sich außerhalb seines Körpers zu befinden, und alles um ihn herum war tief in ihm drinnen. Es war faszinierend. Er mußte ihr das erzählen. Aber sie war nicht mehr da, als er hinsah. Als wäre sie ein Geist gewesen. Was hatte das für eine Bedeutung, daß er nicht gemerkt hatte, daß sie wegging? Die Sirenen. Viel zu laut. Wie Messer im Hirn. Er hob den Kopf und blickte durch die Flammen über den Platz, wo ein Polizeiwagen nach dem anderen um die Ecke gerast kam. Sechs, zählte er. Er konnte alles überdeutlich sehen, das rote Blinklicht, die gelben Scheinwerfer und die Männer im roten Flammenschein hinter der Windschutzscheibe. Es war alles viel zu klar. Er mußte die Augen schließen, sonst hätte er sich erbrochen. Das fehlte ihm noch, und hier sterben, bevor er wußte, wie alles ausging. Er mußte sich zusammennehmen. Er war ganz sicher, daß er sterben mußte, aber noch nicht gleich. Er wollte bis zum Ende aushalten.
Er hörte das Kreischen der Reifen, als sie vor der Wache bremsten. Polizisten sprangen heraus, noch bevor die Autos gestoppt hatten. Der Lärm der Sirenen ebbte ab. Einer der Polizisten zeigte auf ihn, und alle rannten auf ihn zu, ihre Gesichter vor den Flammen abschirmend. Alle hielten ihre Waffen schußbereit in der Hand. Mitten unter ihnen sah er Trautman. Er hatte eine Schrotflinte. Wahrscheinlich aus einem der Streifenwagen.
Dann sah er auch Kern. Im Laufen rief er einem seiner Leute zu: »Rufen Sie einen Unfallwagen.« Dann zu den anderen: »Lassen Sie den Platz räumen. Drängen Sie die Gaffer zurück.«
Was für Gaffer? Er verstand das nicht. Dann blickte er auf und sah sich von Dutzenden Neugieriger umstellt. Ihr plötzliches Auftauchen erschreckte ihn. Sie starrten ihn mit aufgerissenen Augen an, und er wollte schreien: >Noch nicht. < Die Polizisten schlossen einen Kreis um ihn.
»Der Junge«, sagte er.
»Nicht sprechen«, sagte Kern zu ihm.
»Ich glaube, ich habe ihn getroffen.« Er sagte das ganz ruhig. Er konzentrierte sich ganz auf den Jungen und versuchte, sich in seine Lage zu versetzen. »Ja, ich habe ihn getroffen.«
»Sprechen Sie jetzt nicht. Sie müssen Ihre Kräfte schonen. Ein Arzt ist schon unterwegs. Wir
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