RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
gesetzt, die Abreise rückte näher.
Sie saß an einem Weiher voller blauer Lotosblüten und
vermochte ihre Tränen dennoch nicht zurückzuhalten.
»Verzeih mir, Nefertari.«
»Wirst du in deiner Heimat denn nicht wie eine Königin
geehrt?«
»Menelaos wird den Schein wahren. Er wird beweisen,
daß er, der Krieger, eine Stadt dem Erdboden gleichgemacht und die Bevölkerung
umgebracht hat, um seine Frau heimzuholen und von Schmach reinzuwaschen. Aber
mein Leben dort wird die Hölle sein, der Tod wäre gnädiger.«
Unnütze Worte waren nicht Nefertaris Art. Sie weihte
Helena in die Geheimnisse der Webkunst ein. Begeistert verbrachte diese ganze
Tage in den Werkstätten, befragte die erfahrenen Weberinnen und machte sich
selbst an die Herstellung prächtiger Gewänder. Sie hatte geschickte Hände und
erwarb sich die Anerkennung der besten Weberinnen. Bei dieser Tätigkeit vergaß
sie Troja, Menelaos und die bevorstehende Abreise, bis zu dem Abend, da die
Sänfte Königin Tujas durch das Harimstor getragen wurde.
Helena flüchtete sich in ihr Zimmer und warf sich
weinend aufs Bett. Die Anwesenheit der großen königlichen Gemahlin bedeutete
das Ende einer glücklichen Zeit, die niemals wiederkehren würde. Hätte sie doch
bloß den Mut, Hand an sich zu legen!
Mit sanften Worten bat Nefertari, sie möge ihr folgen.
»Die Königin wünscht dich zu sehen.«
»Ich verlasse dieses Zimmer nicht.«
»Die Königin schätzt es nicht, wenn man sie warten
läßt.«
Helena fügte sich. Wieder einmal lag ihr Geschick
nicht in ihrer Hand.
Die Geschicklichkeit der ägyptischen Zimmerleute
überraschte Menelaos. Das Gerücht, daß die pharaonischen Schiffe monatelang auf
dem Wasser bleiben konnten, schien sich zu bestätigen, denn die Werft in
Memphis hatte die griechischen Schiffe in unglaublicher Geschwindigkeit
ausgebessert und wieder seetüchtig gemacht. Der König von Lakedämon hatte dort
riesige Kähne gesehen, die ganze Obelisken zu tragen vermochten, schnelle
Segler und Kriegsschiffe, denen er ungern begegnet wäre. Daß Ägypten über eine
einschüchternde Streitmacht verfügte, war unbestreitbar.
Er verscheuchte diese trüben Gedanken und gab sich
ganz dem Vergnügen der Reisevorbereitungen hin. Dieser Aufenthalt in Ägypten
hatte ihm neue Kräfte verliehen. Auch seinen Soldaten war es gut ergangen,
sämtliche Mannschaften waren abfahrbereit.
Im Sturmschritt ging Menelaos zum Palast der großen
königlichen Gemahlin, wo Helena seit ihrer Rückkehr aus Mer-Our untergebracht
war. Nefertari empfing ihn und geleitete ihn zu seiner Gemahlin.
Helena, in einem Leinenkleid mit Trägern wie eine
Ägypterin gewandet, wirkte fast herausfordernd. Zum Glück gab es hier keinen
Paris, der sie rauben würde! Derartiges galt unter den Pharaonen als
verwerflich, und außerdem waren die Frauen hier viel unabhängiger als in
Griechenland. Sie lebten nicht hinter Gittern in Frauenhäusern, sondern gingen
frei herum, mit unverhülltem Gesicht, und sie trotzten den Männern und hatten
sogar hohe Ämter inne. Solche Mißstände würde er daheim nicht dulden!
Als ihr Gatte den Raum betrat, stand Helena nicht
einmal auf. Ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf den Webstuhl.
»Ich bin’s, Helena.«
»Ich weiß.«
»Müßtest du mich nicht begrüßen?«
»Wieso?«
»Ja, aber, ich bin doch dein Mann, dein Gebieter!«
»Der einzige Gebieter hier ist der Pharao.«
»Wir fahren heim nach Lakedämon.«
»Ich habe meine Arbeit noch längst nicht fertig.«
»Steh auf und komm.«
»Du wirst allein fahren, Menelaos.«
Der König stürzte sich auf seine Frau und versuchte
sie am Handgelenk zu packen, doch der Dolch in ihrer Hand ließ ihn
zurückweichen.
»Greif mich nicht an, sonst rufe ich um Hilfe. Einer
Frau Gewalt antun bedeutet in Ägypten die Todesstrafe.«
»Aber du bist meine Frau, du gehörst mir!«
»Königin Tuja hat mir die Leitung einer Weberei übertragen,
und dieser Ehre werde ich mich würdig erweisen. Ich werde Kleider herstellen
für die Hofdamen, und erst wenn ich dieser Aufgabe überdrüssig bin, werden wir
fahren. Wenn du zu ungeduldig bist, dann geh, ich werde dich nicht
zurückhalten.«
Menelaos hatte schon zwei Schwerter und drei Lanzen
auf dem Mühlstein seines Bäckers zertrümmert. Seine Wut hatte die Dienstboten
in Schrecken versetzt, und hätte Chenar nicht eingegriffen, hätten die Wachen
den Rasenden festgenommen. Der ältere Sohn des Pharaos hielt sich in
angemessener Entfernung, solange der
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