RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
eingegliedert.
Dort würden sie zunächst einmal Arbeiten für die Allgemeinheit verrichten, wie
die Instandhaltung der Kanäle oder die Ausbesserung der Deiche. Die meisten
würden heiraten, Kinder bekommen und ihr eigenes Haus bauen. So würden sie bald
schon ein Teil der ägyptischen Gesellschaft sein, und weder Sethos noch Ramses
würden ihre Anwesenheit mit Argwohn betrachten. Ein neues Trojanisches Pferd
war damit geschaffen, nur war es noch viel scharfsinniger entworfen als das
erste.
Menelaos hatte in Anwesenheit von Königin Tuja Helena
wiedergesehen und ihr die Hochachtung entgegengebracht, die ein Ehemann seiner
Gemahlin schuldet. Von nun an möge sie entscheiden, wann sie ihn treffen wolle,
er würde sie in keiner Weise behelligen. Obwohl Helena ihm seine Aufrichtigkeit
nicht glaubte, stellte sie dennoch fest, daß das in Netzen gefangene wilde Tier
allmählich aufhörte, um sich zu schlagen.
Doch noch einen viel heikleren Vorstoß als diesen
unternahm der König von Lakedämon. Ramses’ Ablehnung mußte verringert werden.
Ihre Begegnung verlief förmlich und ohne Überschwang auf beiden Seiten. Als
geehrter Gast in diesem Lande wolle er, Menelaos, den Anforderungen des Hofes
entsprechen und alles daransetzen, um dem Regenten nicht zu mißfallen. Obwohl
Ramses kühl blieb, war die Gefahr eines offenen Zusammenstoßes erst einmal
gebannt. Chenar und sein griechischer Freund konnten sorglos ihre Netze
knüpfen.
Acha genoß das Bier, das ihm in der Kajüte auf Chenars
Schiff gereicht wurde. Ihrer Abmachung gemäß mußten derlei Treffen ja geheim
bleiben.
Der ältere Sohn des Königs berichtete über die Ankunft
von König Menelaos und Helena, enthüllte Acha aber seine Pläne nicht. Er
mißtraute dem jungen Mann mit dem vollendet gestutzten Oberlippenbärtchen und
den vor Scharfsinn blitzenden Augen.
»Wie entwickelt sich die Lage in den Ostländern?«
»Es wird immer verzwickter. Die kleinen Fürstentümer
bekriegen sich untereinander, jeder Zaunkönig träumt von Bundesgenossen, doch
nur unter seiner Oberhoheit. Diese Zerstückelung ist für uns günstig, doch sie
wird nicht andauern. Im Gegensatz zu meinen Amtsbrüdern bin ich überzeugt, daß
es den Hethitern gelingen wird, die Ehrgeizlinge und die Unzufriedenen auf ihre
Seite zu bringen und sie ihrem Oberbefehl zu unterstellen. An jenem Tag wird
Ägypten große Gefahr drohen.«
»Wie lange wird das dauern?«
»Ein paar Jahre noch, es erfordert ja Gespräche und
Verhandlungen.«
»Wird der Pharao davon erfahren?«
»Nicht wahrheitsgemäß, denn unsere Gesandten sind alte
Männer, die unfähig sind, die Zukunft zu erkennen.«
»Hast du dich schon so weit vorgearbeitet, daß du
entscheidende Auskünfte erhältst?«
»Noch nicht ganz, aber mit denen, die im Hintergrund
die Fäden ziehen, habe ich mich schon recht eng angefreundet. Wir treffen uns
abseits der öffentlichen Anlässe, und mir wurde schon so manches, was
vertraulich ist, hinterbracht.«
»Meba, unser Mann für die Fremdländer, sucht immer
häufiger meine Nähe, wir sind fast schon Freunde. Wenn unser Zusammentreffen
anhält, werde ich mich für deine Beförderung einsetzen.«
»Dein Ruf ist unbeschadet im Osten, Ramses als Person
ist dagegen dort unbekannt.«
»Verständige mich, sobald etwas Entscheidendes
vorfällt.«
FÜNFUNDVIERZIG
in diesem zehnten Regierungsjahr hatte Sethos beschlossen, Ramses den
entscheidenden Schritt tun zu lassen, obgleich er erst achtzehn Jahre alt war.
Doch wäre er nicht eingeweiht in die Osiris-Mysterien, könnte er die
Regierungsaufgaben nicht übernehmen. Gern hätte er noch länger damit gewartet
und seinen Sohn heranreifen sehen, doch das Schicksal gewährte ihm womöglich
keine längere Frist. Daher mußte er so entscheiden. Selbst wenn dieser Schritt
gefährlich war für die Seele des Jungen, mußte er ihn nach Abydos führen.
Er, Sethos, Verkörperung des Gottes Seth, des Mörders
seines Bruders Osiris, hatte für letzteren einen gewaltigen Tempel errichten
lassen, den größten all seiner ägyptischen Heiligtümer. Die erschreckende
Zerstörungsgewalt, von der sein Name zeugte, hatte der Pharao in die Kraft der
Wiedergeburt verwandelt. In der Ewigkeit trug Seth, der Mörder, die
Lichtgestalt Osiris, den Sieger über den Tod, auf seinem Rücken.
Hinter seinem Vater durchschritt Ramses das
Monumentaltor am ersten Pylon. Zwei Priester reinigten ihm in einem steinernen
Becken Hände und Füße. Erst nachdem er einen Brunnen
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