RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
so
unvorsichtig, es in die Stadt hineinzulassen. So konnten wir sie innerhalb
ihrer Mauern überrumpeln.«
»An diesem Gedanken warst du sicher nicht ganz
unbeteiligt«, sagte Chenar schmeichelnd.
»Ich hatte mit Odysseus darüber geredet, aber…«
»Ich bin sicher, er hat deinen Gedanken nur in die Tat
umgesetzt.«
Menelaos warf sich in die Brust.
»Das ist durchaus möglich, wenn man’s recht bedenkt.«
Chenar verwandte fast seine gesamte Zeit darauf, die
Freundschaft des Griechen zu gewinnen. Nun wußte er ein neues Verfahren, um
Ramses auszuschalten und wieder der einzige Thronanwärter zu werden.
VIERUNDVIERZIG
im garten liess Chenar für Menelaos die köstlichsten Speisen
auftragen. Der Grieche bewunderte die dunkelgrünen Reben mit den schwer
herabhängenden Trauben. Schon vor dem Mahl, das sie in der Laube zu sich
nahmen, stopfte er sich voll mit tiefblauen, dicken Weinbeeren. Taubenklein,
Rinderbraten, Wachteln in Honig, Schweinenieren und Rippchen mit Kräutern waren
ihm eine Gaumenfreude, während seine Augen sich ergötzten an den leicht
bekleideten jungen Musikerinnen, die mit Flöten- und Harfenklängen seine Ohren
betörten.
»Ägypten ist ein schönes Land«, gab er zu. »Es ist mir
lieber als die Schlachtfelder.«
»Bist du mit deinem Haus zufrieden?«
»Ein wahrer Palast! Wenn ich erst wieder daheim bin,
werde ich mir von meinen Baumeistern etwas Ähnliches bauen lassen.«
»Die Dienstboten?«
»Überaus zuvorkommend.«
Seinem Wunsch gemäß hatte Menelaos eine Granitwanne
bekommen, die mit warmem Wasser gefüllt wurde, damit er seine endlosen Bäder
nehmen konnte. Sein ägyptischer Hausverweser, der sich wie alle seine
Landsleute unter fließendem Wasser zu waschen pflegte, fand diese Sitzbäder
verweichlichend und nicht gerade reinlich. Doch er beugte sich Chenars
Anweisungen und verfügte auch das tägliche Einreiben mit duftenden Ölen, das
dem von Narben übersäten Körper des Helden wohltat.
»Gefügig sind sie nicht, eure Mädchen hier! Meine
Sklaven daheim stellen sich nicht so an. Nach dem Bad verschaffen sie mir Lust,
ganz wie es mir behagt.«
»Wir haben keine Sklaven hier in Ägypten«, erklärte
Chenar, »diese Mädchen beherrschen ihr Handwerk und erhalten Lohn.«
»Keine Sklaven? Das wäre ein Fortschritt für euch!«
»Wir brauchten wirklich Männer deines Schlages.«
Menelaos schob die Alabasterschale mit der Wachtel in
Honig von sich. Chenars letzte Worte hatten ihm den Appetit verschlagen.
»Was willst du damit sagen?«
Ȁgypten ist, das gebe ich zu, ein reiches und
mächtiges Land, aber könnte man es nicht mit mehr Umsicht lenken?«
»Bist du nicht der ältere Sohn des Pharaos?«
»Muß ich deswegen blind sein?«
»Sethos ist eine furchterregende Persönlichkeit, nicht
einmal Agamemnon besaß so viel Ausstrahlung wie er. Solltest du vorhaben, Ränke
gegen ihn zu schmieden, kann ich dir nur abraten, denn der Mißerfolg wäre dir
sicher. Dieser König ist von einer übernatürlichen Kraft beseelt. Ich bin kein
Feigling, aber seinem Blick zu begegnen macht mir angst.«
»Wer spricht denn von Ränken gegen Sethos? Das ganze Volk
verehrt ihn. Aber der Pharao ist auch ein Mensch, und mit seiner Gesundheit
geht es langsam bergab, wie man munkelt.«
»Wenn ich eure Gebräuche richtig verstanden habe,
besteigt der Regent nach seinem Ableben den Thron. Somit ist jeder
Nachfolgekrieg ausgeschlossen.«
»Ramses würde Ägypten in den Untergang führen. Mein
Bruder ist unfähig, zu regieren.«
»Wenn du dich ihm entgegenstellst, handelst du gegen
den Willen eures Vaters.«
»Ramses hat ihn hinters Licht geführt. Wenn du dich
mit mir verbündest, wird deine Zukunft rosig sein.«
»Meine Zukunft? Die kenne ich schon, ich will so
schnell wie möglich nach Haus! Selbst wenn ich in Ägypten besser wohne und
besser esse, als ich mir vorgestellt hatte, bin ich nur Gast und ohne Macht.
Vergiß deine wahnwitzigen Träume.«
Nefertari hatte Helena den Harim Mer-Our gezeigt. Die
schöne blonde Frau mit den weißen Armen war entzückt von der Pracht des
Pharaonenlandes. Als sie durch die Gärten wandelten und dabei den Klängen der
Musik lauschten, empfand Helenas verwundetes, mattes Herz doch ein wenig
Freude. Die Annehmlichkeiten des Lebens, die Königin Tuja ihr nun schon seit
einigen Wochen gewährte, wirkten wie ein Heilmittel. Doch die jüngsten
Nachrichten hatten Helena erneut in Angst versetzt. Zwei griechische Schiffe
waren bereits instand
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