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RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts

RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts

Titel: RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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gesprochenen Worte in seinem Herzen. Hier wirkte nicht seine Mutter
als Priesterin, sondern eine Göttin, und diese Weihezeremonie eröffnete seinem
Geist das innerste Geheimnis jeglicher Wiedergeburt. Er schwankte mehrmals,
glaubte sich losgelöst von der Welt der Menschen und eingegangen in das
Jenseits. Doch er ging als Sieger hervor aus diesem denkwürdigen Kampf, Leib
und Seele blieben verbunden.
    Ramses verweilte mehrere Wochen in Abydos. Er
meditierte am heiligen See, den riesige Bäume umstanden. Über den See zog bei
den Kultfeiern die Barke des Osiris, die nicht von Menschenhand, sondern aus
Licht zusammengefügt war. Stunde um Stunde verbrachte er an der »Treppe des
großen Gottes« inmitten der Stelen der Toten, deren Seelen vor dem Gericht
Osiris’ als rechtschaffen erkannt worden waren und die sich in Gestalt eines
Vogels mit Menschenkopf als Pilgerin in Abydos einfanden, um die täglich von den
Priestern dargebrachten Opfergaben entgegenzunehmen.
    Man zeigte Ramses auch den Tempelschatz, der Gold und
Silber, Königslinnen, Statuen, heiliges Öl und Weihrauch, Wein und Honig,
Myrrhe, Balsam und Gefäße enthielt. Ramses wollte auch die Speicher sehen, wo
die auf den Gütern von Abydos erzeugten Lebensmittel gehortet waren, und er
zelebrierte das Weiheritual, bevor sie an die Bevölkerung verteilt wurden. Auch
Ochsen, fette Kühe, Kälber, Ziegen und Federvieh wurden geweiht. Einige Tiere
blieben in den Tempelstallungen, doch die meisten kehrten in die umliegenden
Dörfer zurück.
    Im Jahre vier seiner Regierung hatte Sethos eine
Verfügung erlassen, nach der jeder, der für den Tempel arbeitete, seine Pflicht
kennen und ihr bedingungslos entsprechen mußte. Daher, so hieß es, käme es auf
den Gütern von Abydos niemals zu Machtmißbrauch, zu Zwang oder behördlichem
Einschreiten. Der Wesir sowie Richter, hohe Beamte, Bürgermeister und
Amtspersonen waren angewiesen worden, diesen Erlaß streng zu befolgen, und so
verblieben Schiffe, Esel oder Ackergrund im Raume Abydos immer in Händen ihrer
Besitzer. Und Bauern, Züchter, Winzer und Gärtner lebten dort in Frieden unter
dem doppelten Schutz von Pharao und Osiris. Damit auch jeder Kenntnis erhielte
von diesem Erlaß, hatte Sethos ihn überall einmeißeln lassen, bis tief hinein
ins Herz Nubiens, wo in Nauri die fast sechs Ellen lange und drei Ellen breite
Inschrift jedem Besucher ins Auge springt. Jeder Versuch, die Ländereien des
Tempels zu schmälern oder einen seiner Diener gegen seinen Willen zu versetzen,
würde mit zweihundert Stockschlägen und dem Abschneiden von Nase oder Ohren
geahndet.
    Indem er am Alltagsleben des Tempels teilnahm,
erkannte Ramses, daß Priestertum und Wirtschaftswalten, selbst wenn sie sich
deutlich voneinander unterschieden, doch nicht getrennt waren. Wenn der Pharao
im Allerheiligsten mit der Gottheit Zwiesprache hielt, gab es die dingliche
Welt zwar nicht mehr, doch um das Heiligtum zu erbauen und seine Steine zum
Sprechen zu bringen, dazu hatte es des Genies der Baumeister und Bildhauer
bedurft.
    Keine absolute Wahrheit wurde im Tempel gelehrt, kein
Dogma zwängte das Denken ein bis hm zur Verblendung. Der Tempel war der Ort der
Fleischwerdung der Geisteskraft, ein steinernes Schiff, das sich nur scheinbar
nicht von der Stelle bewegte. Der Tempel reinigte, wandelte und heiligte. Er
war das Herz der ägyptischen Gesellschaft und lebte aus der Liebe, die die
Gottheit mit dem Pharao verband, und aus dieser Liebe lebten auch die Menschen.
    Mehrmals ging Ramses zu jener Ahnengalerie und prägte
sich die Namen der Könige ein, die das Land erbaut hatten unter strenger
Beachtung der Regel der Maat. In der Nähe des Tempels befanden sich die
Grabmale der Könige der ersten Dynastie. Ihre Mumien ruhten in den
Ewigkeitshäusern von Sakkara, aber hier war ihr unsichtbarer und unsterblicher
Leib zu Hause, ohne den es den Pharao gar nicht geben würde.
    Plötzlich erschien die Aufgabe ihm erdrückend. Er war
doch nur ein junger Mann von achtzehn Jahren, lebenshungrig, feurig, aber doch
nicht fähig, Nachfolger dieser Giganten zu werden! Es wäre doch schamlos und
vermessen, Sethos’ Thron einnehmen zu wollen.
    Ramses hatte sich einem Traum hingegeben, Abydos
stellte ihm die Wirklichkeit vor Augen. Das war der Hauptgrund, warum sein
Vater ihn hierhergebracht hatte. Deutlicher als dieses Heiligtum hätte niemand
ihm klarmachen können, was für ein Winzling er war.
    Er verließ den Tempelbezirk und ging in Richtung des
Flusses.

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