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RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts

RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts

Titel: RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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Es war Zeit, nach Memphis zurückzukehren, Iset, die Schöne, zur
Gemahlin zu nehmen, mit den Freunden zu feiern und seinem Vater zu erklären,
daß er auf das Amt des Regenten verzichte. Da sein älterer Bruder ja so
versessen darauf war, warum ihm dann diese Freude nicht lassen?
    In Gedanken vertieft, irrte Ramses zwischen den
Feldern umher und gelangte schließlich in die Niederungen am Saum des Nils. Da
das Schilf ihn behinderte, drückte er es auseinander. Da sah er ihn.
    Die langen Ohren, die Beine stämmig wie Pfeiler, das
braunschwarze Fell, der zottige Bart, die gewaltigen spitzen Hörner und diese
Augen, die ihn so unbeirrt ansahen wie vier Jahre zuvor! Es war der wilde
Stier.
    Ramses wich nicht zurück.
    Es oblag dem Stier, ihm sein Geschick zuzuweisen. Er verfügte
im Reich der Natur über die größte Kraft, er war der König der Tiere. Würde er
sich auf ihn stürzen, ihn auf die Hörner nehmen und zertrampeln, hätte der
ägyptische Hof einen Prinzen weniger, der sich aber leicht ersetzen ließe.
Schenkte er ihm aber das Leben, dann wäre es nicht mehr nur das seine, und dann
würde er sich dieser Gabe würdig erweisen.
     
    SECHSUNDVIERZIG
     
     
    Zu den meisten
festen und Gelagen wurde Menelaos als Ehrengast geladen. Helena willigte
ein, sich mit ihm zu zeigen, und erntete allerseits Zustimmung. Die Griechen
mischten sich unters Volk, achteten die Gesetze des Landes und machten nicht
weiter von sich reden.
    Dieser Erfolg wurde Chenar zugeschrieben, seinem
diplomatischen Geschick, wie seine Anhänger mutmaßten. Das offenkundig feindselige
Verhalten des Regenten gegenüber dem König von Lakedämon war, wenn auch
verhohlen, mißbilligt worden. Ramses war nicht anpassungsfähig und ließ es an
Anstand mangeln. War das nicht ein erneuter Beweis, daß er unfähig war, zu
regieren?
    Die Wochen vergingen, und Chenar gewann verlorenen
Boden zurück. Die lange Abwesenheit seines Bruders, der noch immer in Abydos
weilte, ließ ihm freie Hand. Er trug zwar nicht den Titel eines Regenten, aber
wer wollte leugnen, daß er das Zeug dazu hatte?
    Zwar wagte niemand, Sethos’ Entscheidung für abwegig
zu halten, doch er konnte sich vielleicht geirrt haben. So mancher Höfling
hielt das nicht für ausgeschlossen. Ramses’ Auftreten war gewiß weitaus
beeindruckender als das Chenars, aber genügte das für ein Staatsoberhaupt?
    Von Widerstand konnte noch keine Rede sein, aber Unmut
war zunehmend spürbar, und den würde Chenar im geeigneten Augenblick zu nutzen
wissen. Eines hatte der ältere Sohn des Königs inzwischen gelernt: Ramses würde
ein gefährlicher Gegner sein. Um ihn zu bezwingen, mußte man von mehreren
Seiten gleichzeitig angreifen und ihm keine Zeit lassen, neuen Atem zu
schöpfen. Dieses geheime Ziel verfolgte Chenar mit Eifer und Ausdauer.
    Ein entscheidender Schritt war ihm bereits gelungen.
Zwei griechische Offiziere waren der Palastwache zugeteilt worden. Sie würden
sich mit bereits dort tätigen Söldnern anfreunden und eine geheime Truppe
bilden. Vielleicht würde sich einer der Männer sogar hochdienen bis in die
Leibgarde des Regenten! Das wollte Chenar einfädeln, mit Menelaos’
Unterstützung.
    Seit der König von Lakedämon hier gelandet war, sah
die Zukunft wieder rosiger aus. Nun mußte nur noch einer der Leibärzte
bestochen werden, um genauere Auskünfte über den Gesundheitszustand des Königs
zu erlangen. In bester Verfassung schien Sethos nicht zu sein, aber nur nach
dem Augenschein zu urteilen konnte sich als Fehleinschätzung erweisen.
    Chenar wünschte sich auch gar nicht einen plötzlichen
Tod des Vaters, da sein Schlachtplan noch nicht stand. Ramses in seinem Ungestüm
setzte auf seinen zeitlichen Vorsprung, aber darin irrte er. Wenn das Schicksal
Chenar so viel Zeit gewährte, ihn einzufangen in dem Netz, das Monat um Monat
dichter geknüpft wurde, dann würde dem Regenten langsam, aber sicher die Luft
abgeschnürt.
    »Klingt gut«, befand Ameni, als er den ersten Gesang
der Ilias nachlas, den er unter dem Diktat Homers, der unter dem Zitronenbaum
saß, niedergeschrieben hatte.
    Der Dichter mit dem üppigen weißen Haar gewahrte eine
leichte Einschränkung im Tonfall Amenis.
    »Was bemängelst du?«
    »Daß eure Gottheiten den Menschen zu ähnlich sind.«
    »Ist das in Ägypten anders?«
    »In Erzählungen kommt es schon mal vor, aber dabei
geht es nur um Unterhaltung. Was der Tempel lehrt, ist etwas anderes.«
    »Und was weißt du davon, du junger Schreiber?«
    »Recht

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