RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
wieder
geradezurichten, ins Chaos unermüdlich Ordnung zu bringen. Jede andere Art zu
regieren ist zum Scheitern verurteilt.«
Fragen über Fragen stellte Ramses dem Vater, keiner
einzigen wich der König aus. Die Nacht war schon weit fortgeschritten, als der
Regent mit übervollem Herzen sich auf einer Bank ausstreckte und seinen Blick
in Tausende von Sternen versenkte.
Auf Befehl des Königs wurde mit dem Opet-Ritual
begonnen. Priester holten aus den Kapellen die Barken der Triade von Theben:
Amun, den verborgenen Gott, Mut, die Mutter des Weltalls, und Chons, beider
Sohn, den Durchwanderer des Himmels und der Räume, dessen Verkörperung Ramses
war. Bevor sie durch das Tor des Tempels traten, opferten Sethos und sein Sohn
den göttlichen Barken Blumengebinde und begingen ein Trankopfer ihnen zu Ehren,
bevor ein Schleier über sie gebreitet wurde, damit Uneingeweihte sehen konnten,
ohne zu sehen.
An diesem neunzehnten Tag des zweiten Monats der
Überschwemmungen hatte sich eine beachtliche Menschenmenge im Tempelbezirk von
Karnak versammelt. Als das große vergoldete Holzportal sich öffnete, um die vom
König und seinem Sohn angeführte Prozession hinauszulassen, brach Jubel aus. Da
die Götter auf Erden weilten, würde es ein glückliches Jahr werden.
Zwei Prozessionszüge wurden gebildet. Der eine würde
den Landweg einschlagen, über die Sphingenallee, die von Karnak nach Luxor
führte, der andere den Nil nutzen, von der Anlegestelle des ersten Tempels bis
zu der des zweiten. Die königliche Barke auf dem Fluß zog alle Blicke auf sich,
das Gold der Wüsten und die Edelsteine ließen sie in der Sonne funkeln. Sethos
selbst lenkte die kleine Flotte, während Ramses den von Sphingen gesäumten
Landweg einschlug.
Trompeten, Flöten, Tamburine, Becken und Lauten
begleiteten Gaukler und Tänzerinnen. Am Nilufer verkauften Händler mundgerechte
Wegzehrung und kühles Bier, als Erfrischung zu gebratenem Geflügel, Kuchen und
Früchten.
Ramses versuchte den Lärm von sich fernzuhalten und
sich ganz seiner neuen Aufgabe, dem Ritual, zu widmen. Er hatte die Götter zum Tempel
der Wiedergeburt des königlichen Ka in Luxor zu geleiten. Vor einer Reihe von
Kapellen machte die Prozession halt, um die Opfergaben niederzulegen, und
gelangte dann gemessenen Schrittes vor die Tore von Luxor, wo Sethos zur
gleichen Zeit eintraf.
Als die Barken der Gottheiten in das Innere des
Bauwerks einzogen, war die Menge nicht mehr zugelassen. Während das Fest
draußen seinen Fortgang nahm, bereitete sich hier die Wiedergeburt der
verborgenen Kräfte vor, von denen die Fruchtbarkeit Ägyptens abhing. Elf Tage
lang luden die drei Barken sich in der Verschwiegenheit des Allerheiligsten mit
neuer Kraft auf.
Die Amun-Priesterinnen tanzten, sangen und
musizierten. Die Tänzerinnen mit dem üppigen Haar und den festen Brüsten waren
mit Ladanum eingeölt und mit Lotos parfümiert und trugen auf dem Kopf duftende
Binsen.
Unter den Lautenspielerinnen war auch Nefertari. Ein
wenig abgerückt von den anderen, befaßte sie sich nur mit ihrem Instrument und
schien sonst nichts wahrzunehmen. Wie konnte ein so junges Mädchen nur so
ernsthaft sein? Bemüht, unbemerkt zu bleiben, stach sie doch hervor. Ramses
suchte ihren Blick, doch die blaugrünen Augen hefteten sich unverwandt auf die
Saiten der Laute. Aber wie sie es auch anstellte, ihre Schönheit konnte
Nefertari nicht verbergen. Sie übertraf all die anderen Amun-Priesterinnen,
deren Liebreiz keineswegs zu leugnen war.
Stille trat ein. Die jungen Frauen zogen sich zurück.
Die einen waren befriedigt über ihre Darbietung, die anderen hatten es eilig,
ihre Eindrücke auszutauschen. Nefertari verharrte in tiefer Versunkenheit, als
lauschte sie dem Echo der Zeremonie in ihrem Herzen.
Der Regent folgte ihr mit Blicken, bis die in
makelloses Weiß gekleidete zierliche Gestalt im blendenden Sommerlicht
verblaßte.
SECHSUNDDREISSIG
iset, die schöne, schmiegte sich an den nackten Körper ihres Geliebten
und säuselte ihm ein Liebeslied ins Ohr, das alle Hingen Ägypterinnen kannten:
»Wäre ich doch deine Sklavin, gefesselt an deine
Schritte. Ich könnte dich kleiden und entkleiden, die Hand sein, die dich kämmt
und die dich massiert. Ich wäre die, die dein Gewand wäscht und die dich mit
Duft benetzt. Wäre ich doch deine Armreife und dem Schmuck, die deine Haut
berühren und ihren Duft kennen.«
»Das singt der Liebhaber, nicht seine Geliebte.«
»Was soll’s? Ich will,
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