RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
öffentlichen Leben auszuschließen.
»Was wünscht der Pharao?«
»Daß sein älterer Sohn wie bisher seinen
Verpflichtungen nachkommt und das Amt des Obersten Zeremonienmeisters
übernimmt.«
Oberster Zeremonienmeister, das war ein wichtiges Amt.
Chenar würde sich um die Gestaltung der offiziellen Zeremonien kümmern, die
Anwendung der Erlasse überwachen und ständig Anteil haben an der Politik des
Königs. Er war also ganz und gar nicht ins Abseits gedrängt, würde auch
weiterhin an entscheidender Stelle stehen, selbst wenn diese nicht so
herausragend war wie die des Regenten. Mit etwas Geschick könnte er durchaus
seine Netze spinnen, haltbar und dauerhaft.
»Werde ich dir über mein Tun Rechenschaft ablegen
müssen?«
»Mir nicht, dem Pharao, wie sollte ich etwas
beurteilen, das ich nicht kenne?«
Also war Ramses nur ein Strohmann! Sethos behielt alle
Macht in Händen und vertraute weiterhin seinem älteren Sohn.
In der Mitte der heiligen Stadt Heliopolis ragte der
gewaltige Tempel empor, der Re, dem Gott des Lichts und Schöpfer des Lebens,
geweiht war. Im November, wenn die Nächte kühler wurden, bereiteten die
Priester dort das Osiris-Fest vor, Osiris, das verborgene Antlitz Res.
»Memphis und Theben kennst du«, sagte Sethos zu
Ramses, »entdecke jetzt Heliopolis. Hier hat das Denken unserer Ahnen Gestalt
angenommen. Vergiß nicht, diesem heiligen Ort zu huldigen, Theben drängt sich
allzu häufig in den Vordergrund. Ramses, der Begründer unseres Herrscherhauses,
sorgte für Gleichgewicht und die gerechte Machtverteilung zwischen den
Hohepriestern von Heliopolis, Memphis und Theben. Ich achtete stets seine
Sicht, achte auch du sie. Unterwirf dich keinem Würdenträger, aber sei das
Band, das sie vereint und sie führt.«
»Ich denke oft an Auaris, die Stadt Seths«, bekannte
Ramses.
»Wenn das Schicksal dich zum Pharao macht, wirst du
dorthin zurückkehren und, sobald ich tot sein werde, mit der geheimen Macht in
Berührung kommen.«
»Du wirst nie sterben!«
Dieser Ausruf klang wie ein Herzenserguß, auf Sethos’
Lippen wurde ein Lächeln sichtbar.
»Wenn mein Nachfolger mein Ka pflegt, wird diese Gunst
mir vielleicht zuteil.«
Sethos hieß Ramses eintreten in das Heiligtum, den
großen Tempel Res, wo in der Mitte eines Hofes unter freiem Himmel ein mächtiger
Obelisk stand, dessen vergoldete Spitze den Himmel durchbohrte, um schädliche
Einflüsse zu zerstreuen.
»Das ist die Verkörperung des Urgesteins, das zu
Anbeginn der Zeiten aus dem Urozean aufstieg. Durch seine Anwesenheit auf Erden
wird die Schöpfung bestehen bleiben.«
Ramses stand noch wie gebannt, doch schon führte der
Vater ihn zu einer riesigen Akazie, der von zwei Priesterinnen, die Isis und
Nephthys darstellten, gehuldigt wurde.
»In diesem Baum«, erklärte Sethos, »zeugt der
Unsichtbare den Pharao, nährt ihn mit der Milch der Sterne und gibt ihm seinen
Namen.«
Noch weitere Wunder warteten auf den Regenten. In
einer weiträumigen Kapelle stand auf stuckverziertem Holzsockel eine Waage aus
Gold und Silber, die vier Ellen Spannweite und mehr als vier Ellen Höhe
erreichte. Die Spitze zierte ein goldener Pavian, die Verkörperung des Gottes
Thot, des Meisters der Schrift- und Rechenkunst.
»Die Waage von Heliopohs wiegt Seele und Herz jedes
Wesens und jedes Dings. Möge Maat, die von dieser Waage versinnbildlicht wird,
dem Denken und Tun stets beseelen.«
Zum Abschluß dieses Tages in der Stadt des Lichts
führte Sethos Ramses noch zu einer Baustelle, die die Arbeiter bereits
verlassen hatten.
»Hier entsteht eine neue Kapelle, denn das Werk darf
nie unterbrochen werden. Der Tempelbau ist die erste Pflicht eines Pharaos,
durch ihn wird er sein Volk erbauen. Knie nieder, Ramses, und vollbringe dem
erstes Werk.«
Sethos reichte Ramses Hammer und Meißel, und unter dem
Schutz des erhabenen Obelisken und des väterlichen Blicks legte der Regent den
Grundstein für das künftige Bauwerk.
SIEBENUNDDREISSIG
ameni empfand grenzenlose Bewunderung für Ramses, hielt ihn aber
nicht für frei von Fehlern. Zu schnell vergaß der Regent, daß einige ihm nach
dem Leben trachteten, und zu nachlässig war er auch, wenn es darum ging,
Geheimniskrämereien aufzudecken, wie beispielsweise die Sache mit den
minderwertigen Tintensteinen. Er, der junge Sandalenträger des Regenten, vergaß
nichts, und da sein neues Amt ihm gewisse Vorteile verschafft hatte, wollte er
sie auch nutzen.
Seinen zwanzig Untergebenen, die
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