RAMSES 1 - Der Sohn des Lichts
drücken, aber auf Amenis Anraten hatte er dann
doch sein Erscheinen vor dem Festmahl angekündigt.
Der schwerbäuchige und leutselige Sary vertrieb die
Schmeichler, die den Regenten mit Lob zu überschütten, vor allem aber
Begünstigungen zu erreichen gedachten.
»Deine Anwesenheit ehrt uns, ich bin mächtig stolz auf
meinen Schüler! Stolz und betrübt zugleich.«
»Betrübt?«
»Ich werde keinen künftigen Regenten mehr zu erziehen
haben! Neben dir werden alle Schüler des Kap verblassen.«
»Hättest du lieber ein anderes Amt?«
»Ich gebe zu, daß die Verwaltung der Kornspeicher mir
mehr Spaß machen und mir mehr Zeit für Dolente lassen würde. Aber sieh darin
nicht eines der zahlreichen Ersuchen, die täglich an dich herangetragen werden!
Solltest du dich allerdings eines Tages deines alten Lehrers entsinnen…«
Ramses nickte. Seine Schwester eilte ihm entgegen.
Durch das tägliche und viel zu starke Schminken sah sie zehn Jahre älter aus.
Sary entfernte sich.
»Hat mein Gemahl mit dir geredet?«
»Ja.«
»Ich bin ja so glücklich, seit du Chenar übertrumpft
hast! Er ist böse und verschlagen und wünschte unseren Untergang.«
»Welchen Schaden hat er dir zugefügt?«
»Das ist nicht mehr wichtig, jetzt bist du der Regent,
nicht er. Begünstige deine wahren Verbündeten.«
»Sary und du, ihr täuscht euch über meine
Möglichkeiten.«
Dolente blinzelte.
»Was genau bedeutet das?«
»Ich biete keine Ämter feil, sondern versuche,
Einblick zu gewinnen in das Denken meines Vaters und zu begreifen, wie er das
Land regiert, um eines Tages, sofern die Götter das wollen, seinem Vorbild
gerecht zu werden.«
»Laß doch diese gestelzten Worte! Der höchsten Macht
so nahe, hast du doch nichts anderes im Sinn, als deinen Zugriff auf andere zu
festigen und deine Anhänger um dich zu sammeln. Mein Gemahl und ich wollen
dazugehören, denn wir verdienen es. Du wirst auf unsere Fähigkeiten nicht
verzichten können.«
»Da kennst du mich aber schlecht, liebe Schwester, und
ebenso schlecht kennst du unseren Vater. So wird Ägypten nicht regiert. Als
Regent habe ich die Möglichkeit, sein Handeln von innen her zu beobachten und
Lehren daraus zu ziehen.«
»Dein Geschwafel interessiert mich nicht. Hier auf
Erden regiert der Ehrgeiz. Du bist wie alle anderen, Ramses, wenn du dich den
Gesetzen des Lebens nicht unterwirfst, wirst du zugrunde gehen.«
Unter dem Säulengang seines Hauses überdachte Chenar
noch einmal all die Auskünfte, die er an diesem Abend gesammelt hatte. Zum
Glück war das Gespinst seiner Freundschaften nicht zerrissen und die Zahl der
Feinde Ramses’ nicht geringer geworden. Sie beobachteten sein Tun und Lassen
und hinterbrachten alles Chenar, der bei Sethos’ Tod ja doch Pharao werden
würde. Die Zurückhaltung des Regenten, seine unbedingte Treue zu Sethos und sein
Gehorsam würden sein Bild schnell verblassen lassen.
Chenar selbst war nicht ganz so zuversichtlich, und
zwar wegen eines Ereignisses, das für ihn verhängnisvoll war: der kurze Besuch
Ramses’ in Heliopolis. Dort wurde nämlich ein Pharao durch einstimmiges
Händeklatschen erwählt. So waren die ersten Könige Ägyptens gekrönt worden.
Sethos hatte seinen Willen dort also kundgetan und,
wie ein Priester ihm anvertraut hatte, Ramses sogar vor die große Waage
geführt. Das bedeutete, daß der Pharao den Regenten für fähig erachtete, das
Gesetz der Maat zu wahren und Geradlinigkeit walten zu lassen. Dieses
entscheidende Ereignis hatte allerdings in völliger Abgeschiedenheit
stattgefunden und besaß bisher nur magische Bedeutung, aber Sethos hatte seinen
Willen kundgetan und würde nicht davon abweichen.
Zeremonienmeister? Das war nichts als Augenwischerei!
Sethos und Ramses hofften doch nur darauf, daß er in diesem Amt vor sich hin
dämmere und seine hochfliegenden Pläne vergesse, während der Regent nach und
nach die Zügel der Macht ergreifen würde.
Ramses war viel gerissener, als es schien, hinter der
Maske der Demut verbarg sich wilder Ehrgeiz. Weil er seinem Bruder mißtraute,
gab er sich lammfromm, aber die Episode in Heliopolis verriet seine wahren
Absichten. Chenar mußte seine Strategie ändern. Alles der Zeit zu überlassen
wäre ein Fehler, der seinen Untergang besiegelte. Er mußte zum Angriff
übergehen und in Ramses den gefährlichen Widersacher sehen. Ihn von innen her
anzugreifen genügte nicht auf Dauer. Seltsame Gedanken gingen Chenar durch den
Kopf, sie waren so seltsam, daß sie ihn sogar
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