Rangun
Tages werden die Briten auch vor den Toren Khandahoors stehen. Der arme alte Mann in Mandalay wird sie nicht aufhalten.«
»Er kann sie nicht aufhalten, nicht mit Kanonen, die für Ludwig den Vierzehnten geeignet gewesen wären. Er kann nur glauben, sie seien zivilisiert.« Seine Lippen verzogen sich erstmals ärgerlich. »Die Briten sind stark, aber Khandahoor werden sie nie nehmen. Ich will verdammt sein, wenn ich es einer Bande von Box-Wallahs übergebe.«
Sie war über seine offene Verachtung verblüfft. »Bin ich einer von ihnen? Von den Bo Box -wallahs?« fragte sie ruhig.
Er schaute sie seltsam an. »Box-Wallahs sind bourgeoise Händler wie Bettenheim. Nur nehmen die meisten am Ende ihre Beute und ziehen heim. Die Bettenheims bleiben und erzeugen weitere Bettenheims. Gewöhnlich sind sie gezwungen, mit einer Frau zu beginnen, die wenig Chancen hat, einen Mann zu bekommen. Bettenheim hatte mehr Glück als die meisten, als er dich fand.«
»Und er war entschlossener«, sagte sie nachdenklich. »Er gehörte nicht zu den Männern, die ungeduldig beim Nachmittagstee warten. Ich hatte ihn ernster als die anderen genommen.«
»Hättest du ihn geheiratet?« fragte er plötzlich.
Sie hob eine Augenbraue. »Ich bin überrascht, daß Majid das nicht erzählt hat. Ja, ich hatte das erwogen. Es wäre praktisch gewesen. Vater und ich wären für den Rest unseres Lebens abgesichert gewesen. Wenn man nie Sicherheit gekannt hat, kann das sehr viel bedeuten. Unklugerweise kam Bettenheim zweiundzwanzig mal zum Tee. Beim dreiundzwanzigsten Mal hatte ich soviel Chauvinismus anhören müssen, daß es für ein ganzes Leben reichte. Er machte eine Szene.« Sie lachte schief. »Du hattest recht. Vielleicht bin ich zu leicht gelangweilt. Und wäre ich weniger impulsiv, könnte ich Herrin über mehrere Plantagen sein, statt keine Mistreß über deine königliche... Nadakeit zu sein.«
»Ja, er hätte seine Dynastie mit dir züchten können.« Seine Stimme klang seltsam gespannt. »Ich frage mich, ob seine Plantagen das wert gewesen wären.«
Sie verengte die Augen und spottete: »Vielleicht. Mag sein, daß ich ihn sogar als Liebhaber genossen hätte. Er hat einen kräftigen Körper und wirkt brutal. Im schlechtesten Fall könnte er nicht rücksichtsloser als du sein, Ram. Vielleicht sollte ich ihn heiraten, wenn ich nach Rangun zurückkehre.«
»Er würde dich jetzt nicht mehr um deine Hand bitten«, sagte Ram kurz. »Er würde dich einfach ins Bett nehmen.«
»Dann muß ich die Nayaka Erotika aus deiner Bibliothek studieren«, sie schenkte ihm ein listiges Lächeln, »damit er mich darin behalten will.«
Er lächelte wie sie. »Glaubst du wirklich, du könntest fliegen lernen, indem du Bilder betrachtest, kleiner Vogel?«
Lysistrata nahm jetzt im Zenana nur noch Mahlzeiten ein und verbrachte die Nächte dort. Jeden Morgen durchstreifte sie nach dem Frühstück die große Festung. Eines Morgens stieß sie auf eine seltsame Gruppe auf dem Feld bei den Wachbaracken. In chinesische schwarze Röcke und Hosen gekleidet, standen Ram und mehrere Wachen reglos wie Ballettänzer da. Sie war gespannt, was sie tun würden. Sie wirkten wie gelähmt. Sie probierte die Stellung selber aus, aber nach Minuten schmerzten ihre Muskeln.
Fast zwei Stunden vergingen. Schließlich erwachten die Männer mit einer schlangengleichen Bewegung zum Leben, gefolgt von einem seltsam schönen, perfekt synchronisierten Tanz, der eine Kung Fu Kata war, wie sie erfuhr, eine tödliche Konzentration auf einen unsichtbaren Gegner. Kein Wunder, daß Ram gut tanzte. Seinen anmutigen Körper beherrschte er vollendet. Im Übungskampf war er schnell wie eine Otter und auch so gefährlich. In den folgenden Wochen entdeckte sie, daß er mit bloßen Händen und Füßen Steine zerschmettern konnte.
Ram und seine Söldner verfügten über viele unerfreuliche Fähigkeiten. Von einem galoppierenden Pferd gebeugt, konnte er auf hundert Meter einen Pfeil ins Schwarze schießen. Mit der Winchester schoß er ebenso präzise. Mit Seil und Haken konnte er in Sekunden eine steile Wand erklimmen, und mit dem Wurf eines kleinen Metallsternes mähte er Blüten. Sie bezweifelte nicht, daß er wußte, daß sie ihm beim
Üben zuschaute, beobachtete ihn aber voreingenommen wie ein Beutetier weiter.
Wenn sie nicht beim Kung Fu zuschaute, stöberte sie in der Bibliothek. Nachdem sie sich Bände ausgesucht hatte, begab sie sich zum Phoenixpalast, einem kleinen Bungalow nahe einem
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