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Rangun

Rangun

Titel: Rangun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Monson
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sie an den Regalen entlang. Schließlich wählte sie Victor Hugos Les Miserables und Indiana von George Sand aus.
    »Warum diese beiden?«
    Sie lachte. »Weil mir ein geistlicher Bekannter einmal sagte, sie würden aus Boston verbannt werden.«
    Er schloß einen Mahagonischreibtisch auf und reichte ihr dann ein kleines Lederbuch. »Lies das auch. Du wirst es interessant finden, vor allem in Hinblick auf Moralfragen.«
    Sie strich über das abgewetzte Leder. »Es hat keinen Titel. Was ist das?«
    »Vaters Tagebuch.«
    Lysistrata las das Tagebuch die ganze Nacht. Es war die Rechenschaft eines rücksichtslosen, raubgierigen Subalternoffiziers, der über die Leichen der Männer, die er in die Vernichtung geführt und während der Sepoy Rebellion in Indien getötet hatte, nach ganz oben gekommen war. Er hatte dazu beigetragen, Indien und Birma Britannien zu unterwerfen, bevor es ihm mißlang, nach China einzudringen. Er war durch die Vorstellung bestärkt worden, daß sein Schicksal und das Britanniens eines und glorreich seien. Khandahoor, von Sepoy-Gefangenen der 58er Rebellion erbaut, war mit Beutestücken eingerichtet, die man aus den Palästen unterlegener indischer Mogule geraubt hatte. Darunter war Anira gewesen, Rams Mutter, von der er mit einer Leidenschaft und Bewunderung sprach, die über Liebe zum Fetischismus hinausging.
    Aber er hatte vor Aniras Nase einen Harem gehabt, überlegte Lysistrata. Was mag im Kopf einer Frau Vorgehen, die imstande wäre, die Geliebte ihres Sohnes zu ermorden, ihren Gatten aber dazu ermutigt, ihr untreu zu sein?
    Lysistrata schlief mit Gedanken an Anira ein. Ein leises Geräusch, kaum mehr als ein Windhauch, weckte sie plötzlich. Sie erinnerte sich an die Kobra in ihrem Schlafzimmer in Rangun und blieb mit geschlossenen Augen reglos liegen. Nach mehreren Augenblicken spürte sie eine geräuschlose Bewegung. Wer immer im Raum war, zog sich zur Tür zurück. Im Mondlicht sah sie durch halbgeschlossene Augen eine verschleierte Gestalt. Obwohl sie das Gesicht nicht sehen konnte, vermutete sie, daß es Kalisha war. Keine der Zenana -Frauen trug einen Schleier. Sie wußte nicht, warum sie sich dessen sicher war, daß die Besucherin Böses wollte. Vielleicht war es die Starrheit ihres Kopfes. Sie wartete und versuchte normal zu atmen. Die Gestalt blieb stehen, schien größer zu werden. Wie eine Kobra dachte Lysistrata, bevor sie zuschlägt. Sie bereitete sich auf den Angriff vor. Lysistrata schoß hoch. In der Dunkelheit war nichts.
    In der Morgendämmerung verließ Lysistrata das Zenana. Einer der Eunuchen schlief. Der andere machte keine Anstalten, sie aufzuhalten. Sie betrat den Pfauenpalast. Dort stieß sie auf Kalisha.
    »Was tust du hier?« fragte die Frau barsch.
    »Ich suche Ram«, log Lysistrata. »Er ist doch hier?«
    Kalisha verzog die Lippen. »Er wird dich zu sich rufen, wenn er dich sehen will. Nutze seine Geduld nicht aus.«
    »Du wagst es, für ihn zu sprechen. Er muß wirklich sehr geduldig sein.«
    »Du zerrst an seiner Leine, aber er bückt sich nicht einmal, um dich zu streicheln.« Kalisha lächelte boshaft. »Ja, er ist geduldig. Er hat andere Metzen, die vor ihm buckeln. Warum sollte er sich über eine Weiße ärgern, die eine Xanthippe ist?«
    »Mir scheint, ich kann zwischen Xanthippen wählen«, war Rams ruhige Stimme hinter ihnen vernehmbar. »Zu dieser frühen Stunde toleriere ich nur eine. Kalisha, laß Frühstück für Lysistrata und mich zum Chrysanthementeich bringen.«
    »Nun, was hältst du von Vater?« fragte Ram.
    Sie erzählte es ihm.
    »Interessant. Viele deiner Landsleute in Rangun würden ihn für einen Helden halten.«
    »Da ich deinem Vater ex libris begegnet bin, bin ich auf deine Mutter neugierig. Was für eine Frau war sie?«
    »Vater fiel es schwerer, sie zu gewinnen, als die meisten anderen Dinge.«
    »Das erklärt vieles. Ich möchte sagen, er hat mehr gestohlen als gewonnen.«
    Er lächelte schief. »Er brauchte sie nicht zu stehlen. Sie begehrte ihn mehr als er sie.«
    Sie runzelte die Stirn. »Dann war mehr Lust als Liebe zwischen ihnen?«
    »Warum sagst du das?«
    »Die Art, wie dein Vater geschrieben hat...« Sie blickte auf. »Ram, warum hast du mir das Tagebuch gegeben?«
    »Das sagte ich doch. Ich wollte wissen, was du darüber denkst.«
    »Ich glaube, du wolltest wissen, was meiner Meinung nach mit Birma geschieht... und mit dir.«
    »Mir geschieht nichts, für eine Weile jedenfalls.« Er deutete auf die bewachten Türme.
    »Eines

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