Rangun
chinesische Göttin Kuan Yin an die Tür zu stellen. Vielleicht vergoldete sie nur einen neuen Käfig, aber sie wollte ganz klar machen, wessen Käfig das war.
Jetzt blieb ihr nichts zu tun, als weitere Bücher aus der Bibliothek zu holen, um Ram nicht begegnen zu müssen. Sie hatte jede Einladung zum Abendessen abgelehnt und beschlossen, das auch weiterhin zu tun. Alle Mahlzeiten wurden von einem Diener in den Phoenix-Bungalow gebracht.
Sie legte sich in die Hängematte und nahm Sands Indiana mit. Nach kaum einer Stunde begriff sie, daß Indiana der Protest einer Frau gegen gesellschaftliche Konventionen war, die sie an ein Eheleben ketteten, mit dem sie sich nicht abfinden konnte. Kein Wunder, daß Frank Wyatt das Buch verurteilt hatte. Es war ein Plädoyer für die Behandlung von Frauen... geschrieben von einer Frau. Das Exemplar hatte Rams Mutter gehört, deren gekritzelte Anmerkungen Mitgefühl für die Autorin erkennen ließen, die gezwungen gewesen war, das Buch unter einem Männernamen zu veröffentlichen. Ram hatte also gesehen, daß sie ihn beobachtete, während er Kim liebte. Er wußte die ganze Zeit, während sie in der Bibliothek albern über Sand plapperte, daß sie gelogen hatte. Kein Wunder, daß ihre Kapitulation für ihn nur eine Frage der Zeit war. Sie klappte das Buch zu. Ihm beim Geschlechtsverkehr zuzuschauen, bedeutete doch nicht, daß sie ihn begehrte... oder doch?
Ein anderer Widerspruch quälte sie. Hatte Anira, die Indiana so aufmerksam gelesen hatte, ihrem Mann aus reinem Pflichtgefühl Haremswächter gekauft? Oder war es nur ein Scherz? Spiegelte die fehlende Männlichkeit der Eunuchen nur den Wunsch wider, William Harley wegen seiner Untreue zu entmannen? Außer Ram und Kalisha konnten nur wenig Menschen in Khandahoor viel über eine Frau wissen, die in der Abgeschiedenheit des Purdah lebte. Eigenartigerweise war der einzige Inder außer Kalisha ein alter Gärtner, den sie oft gegrüßt hatte, wenn sie ihm begegnete. Ram schien kaum Verbindungen zur Rasse seiner Mutter zu haben.
»Sei gegrüßt, Pandit Singh.« Lysistrata beugte sich zu dem alten Gärtner und reichte ihm eine Ringelblume, als er nach einem Korb mit Pflanzen griff. »Deine Chrysanthemen und Ringelblumen auf meiner Terrasse sind wunderschön. Danke, daß du dich so sehr darum kümmerst.«
Er nickte hocherfreut. »Wenn sie den Monsun überleben, werden sie das ganze Jahr blühen. Chrysanthemen und Ringelblumen sind von Buddha geheiligt. Sie bringen Glück.«
»Welches war Rani Aniras Lieblingsblume?«
»Sie liebte Blumen nicht sehr.«
»Aber diese wunderschönen Gärten wurden doch für sie angelegt? Ich wußte nicht, daß ihr Gatte einen solch exquisiten Geschmack hatte.«
»Lord Harley kümmerte sich nur um die Architektur. Die Gärten habe ich entworfen.«
»Du!« Sie war verblüfft. »Pandit Singh, du bist ein Genie!«
Er lachte humorlos. »Ein Mann kann sehr klug sein, wenn sein Leben davon abhängt.«
Sie runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht.«
Seine Augen fixierten sie wie die eines Mungo. »Ich bin der letzte der Gefangenen, die Khandahoor erbaut haben. Die anderen sind im Burggraben.«
Mechanisch griff sie nach einem anderen Setzling und sah in Gedanken die schreienden Männer vor sich, die von Krokodilen gefressen wurden. »Ich verstehe...« Sie blickte ihn scharf an. »Und ich verstehe nicht. Die Architektur ist so großartig wie die Gärten. Warum sollte Harley...?«
»Die Rani konnte Gärten verändern. Stein konnte sie nicht so leicht ändern, obwohl sie das schließlich doch getan hätte, wenn sie noch lebte. Sie war selten mit etwas zufrieden. Alles mußte perfekt sein und am Ende einfach anders.«
Lysistrata murmelte: »Lord Harley muß ein Monster gewesen sein.«
Der alte Mann zuckte die Schultern. »Wäre es weniger beschwerlich gewesen, hätte Lord Harley uns zurück nach Madras zur Hinrichtung geschickt. Er wollte uns erschießen lassen, aber die Rani überredete ihn dazu, den Burggraben zu benutzen. Sie schaute lächelnd von den Zinnen aus zu. Es war das letzte Mal, daß sie das Purdah verließ.«
Lysistrata war übel. Sie wollte kein Wort mehr hören. Aber doch mußte sie. »Pandit Singh, könntest du morgen nachmittag am Phoenixsee Fuchsien pflanzen?«
Er schaute wegen des plötzlichen Themawechsels verwirrt drein, dann verengten sich seine Augen verstehend. »Wie es Ihnen beliebt, Missy.«
Diese Nacht und den nächsten Morgen verbrachte sie damit, Aniras Anmerkungen zu
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