Rangun
Vielseitigkeit, Lysistrata.«
»Das kann man von dir auch sagen.«
»Dann ist uns der Luxus von Gleichgültigkeit wohl nicht gestattet.«
Die Monotonie im Zenana war in den folgenden Tagen geradezu verdummend. Die drei hübschen Bewohnerinnen, Kim Lee, eine Chinesin, Too und eine malegassische Schwarze namens Rasoherina vertrieben sich die Zeit mit Kämmen, Nägellackieren und Schminken. Wenn Lysistrata nicht schwimmen, essen oder die Wand anstarren wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als ein mobiles Kunstwerk zu werden. All dies nur, um einem rätselhaften Tyrannen zu gefallen, der sich dieses Kunstwerk buchstäblich nehmen oder es in Ruhe lassen konnte. Also schwamm sie. Und schwamm. Und schwamm. Ihr Haar wurde zu geschmolzenem Gold, ihre Haut so dunkelbraun wie das Fell einer Tigerin. Ihr Körper wurde schlank und muskulös, bis sie geschmeidig wie eine Katze war. Und ebenso unruhig.
»Eingesperrt zu sein, paßt zu dir.«
Lysistrata, die am Pool döste, schreckte auf und sah Ram vor sich stehen. Bis auf ein gelegentliches Essen mit ihr kam er selten in das Zenana. Bei diesen Gelegenheiten überlegte sie unter seinem trägen Blick immer voller Unbehagen, ob er sie vielleicht als Dessert genießen wolle. Dieser Blick war jetzt auch wieder da. Sie versuchte, ihre Anspannung zu verbergen. »Warum sagst du das?« entgegnete sie.
Er musterte ihre lange, nackte Gestalt und grinste. »Keine Ringe unter den Augen. In Rangun hattest du sie oft.«
»Tja, mein Hirn wird langsam zu Mangobrei. Gibt es hier keine Bücher?«
»Vater hat im Pfauenpalast eine Bibliothek eingerichtet. Möchtest du etwas daraus?« »Du meinst, du würdest mich wieder einlassen, wenn ich das Zenana verlasse?« spottete sie.
»Du hattest immer die Freiheit, die Festung zu betreten und sie zu verlassen.«
Mit einem ärgerlichen Ausruf erhob sie sich, um einen azurblauen Sari anzulegen. »Du hast vergessen, das zu erwähnen. Warum habe ich dieses Privileg vor den anderen Frauen?«
»Sie teilen zuweilen mein Bett.«
Sie wurde rot. »Für ihre Degradierung bezahlen sie einen hohen Preis. Wie ich mich erinnere, kannst du in dieser Hinsicht sehr grob sein.«
Er spielte mit der Sarinadel, die auf einem Tisch lag. »Kannst du mich mit jemand vergleichen?« Sein Tonfall machte sie argwöhnisch.
»Wußtest du das nicht?« erwiderte sie munter. »In einer Höhle am Grunde dieses Teiches lebt ein Wassermann. Was ihm an Ausstattung fehlt, macht er durch Verfügbarkeit wett.« Sie streckte die Hand nach der Schließe aus.
Er ignorierte sie lachend und begann die Schließe selbst anzulegen. »Ist das ein Vorwurf?«
»Fühlte ich mich vernachlässigt, würde ich mich bei einem deiner Söldner beklagen«, schnurrte sie.
»Wieso nicht bei allen?«
Durch die indirekte Drohung erschreckt, wich sie ihm aus. »Kalisha wird dir schon sagen, wenn ich umherstreune. Sie haßt mich.«
»Kalisha liebte einst meine Mutter. Jetzt mag sie niemanden.«
»Hätte deine Mutter mich auch gehaßt?«
»Sie hätte dich vergiftet.«
Die Bibliothek war großartig. Tausende von Büchern aus allen Teilen der Welt waren darin. Sie enthielt auch das einzige westliche Kunstwerk in Khandahoor. »Es gehörte meinem Vater«, erklärte Ram, als sie einen Heiligen Sebastian von Donatello betrachtete. Der nackte römische Heilige war ein von vielen Pfeilen durchbohrter, schöner, gepeinigter junger
Mann, in Bronze gegossen. Ram hätte dafür Modell gestanden haben können. Er lächelte über ihren entzückten Gesichtsausdruck. »Dieses Thema ist typisch für eure christliche Renaissancekunst, weil sie dem Künstler gestattete, den nackten Körper darzustellen, ohne daß die Kirche das rügte.«
Sie hob eine Augenbraue. »Ich nehme an, daß es Muslims verboten ist, überhaupt den menschlichen Körper darzustellen.«
»Buddhisten und Hindi sind weniger zurückhaltend. Du wirst viele Beispiele religiöser Kunst in diesen Büchern dort finden.« Er deutete auf den betreffenden Bereich.
Sie begab sich zu den Regalen und nahm ein Buch über das Leben Vishnus heraus. Es war mit erotischen Zeichnungen gefüllt. »Indien scheint eine sehr vitale Religion zu genießen.«
»Hindi zelebrieren den Körper, bevor sie ihn verlassen. Sie glauben, daß der Liebesakt der prächtigste irdische Ausdruck des Geistes ist.«
»Sie glauben das? Bist du Buddhist oder Hindu? Christ scheinst du nicht zu sein.«
»Religion überlasse ich den Mönchen«, sagte er kurz.
In Büchern blätternd, ging
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