Rangun
Morgendämmerung sprachen Harley und Lysistrata nur höflich miteinander. Als sie sich zum Aufbruch vorbereiteten, erhielt Lysistrata als Abschiedsgeschenk den grün-lilafarbenen Tamein. Auf dem Gang zum Schiff sah Lysistrata, wie ein Dorfbewohner eine Palme schlug. U Too bemerkte ihren neugierigen Blick und erklärte: »Er schlägt die Palme, damit sie mehr Saft für Wein gibt.«
»Sie?«
»O ja. Das ist eine Frau. Der da ist ein Mann.« Er deutete auf eine stramme Palme am Ufer. »Eine Frau bringt mehr als ein Mann, wenn sie richtig geschlagen wird.«
»Ach ja«, kam die wenig begeisterte Erwiderung.
Ma Lay, die die Feindseligkeit zwischen Harley und Lysistrata besser spürte, merkte an: »Man muß sich aber vorsehen. Eine Frau, die mißbräuchlich geschlagen wird, ist eine Enttäuschung. Stimmt das nicht, Tuan?«
»Er sollte es wissen«, bestätigte Lysistrata barsch.
Nach dem Abschied wurde Lysistrata wieder in die drückend heiße Kabine gebracht. Sie durfte an Deck, als die Lady König Mindons Territorium erreicht hatte. Da sie Harley nicht an Deck sah, überlegte sie, ob er ein Nickerchen nach einer Nacht machte, die so schlaflos wie die ihre gewesen war. Das nördliche Birma war eine völlig andere Welt. Der Oberlauf des Flusses lag träge unter der Sonne, und die Bäume zeigten eine gelbbraune Spur von Herbst. Scharlachrote Baumwollbäume flammten zwischen ziegelroten Dhak, deren silberne Stämme von Bambus umgeben waren. Ferner Rauch trieb wie ein einlullendes, würziges Opiat über das Wasser. Sie schlief bald ein.
Sie erwachte durch den verlockenden Duft von gebratenem Huhn und Tamarindenreis. Harleys gelangweilter Blick war weniger einladend. Er saß ihr auf dem Deck gegenüber an einem Camptisch, der zwischen ihnen aufgestellt war. Die
Sonne versank in einem herrlichen malven- und aprikosenfarbenen Himmel, der wie Wasser wirkte. Aus diesem Trugbild hoben sich die tausendjährigen, halb eingefallenen Tempelanlagen von Pagan. Die Lady of Shalott war vor den hohen Uferbänken festgemacht worden, wo Gänse futtersuchend um die schneeweißen Bordwände trieben. Kraniche und Ibisse hatten sich ans Ufer zurückgezogen. Gelegentlich erhaschte ein Vogel einen Frosch oder schwang sich in die Luft, um aus dem Fluß springende Fische zu erbeuten.
Der javanische Koch im weißen Rock schenkte französischen Wein aus einem schweren silbernen Kühler ein, der neben der Jacht ins Wasser gesenkt worden war. Elritzen sprangen dagegen, als er hochgezogen wurde. Tropfend brachte man ihn auf den Tisch. Harley und Lysistrata speisten schweigend. Harley sah in seinem Abendanzug im englischen Stil stattlich aus, Lysistrata trug ihren anmutigen Tamein. Mit Erleichterung stellte sie fest, daß er sich nicht ihretwegen umgezogen hatte. Die romantische Umgebung war kein Vorspiel für eine Verführung. Sie fühlte sich wie die Teilnehmerin an einer Zeremonie, deren Bedeutung sie nicht kannte, gerade so, als befände sie sich in Begleitung eines kultivierten Hunnen, der ihr die Hand küssen würde, bevor er ihr die Kehle durchschnitt. Nach dem Abendessen erhob sich Harley von seinem Stuhl, steckte die Hände in die Taschen und fragte abwesend: »Möchtest du Pagan sehen?«
In Gedanken verloren blickte sie auf die fernen Kuppeln. »Warum nicht? Ein Spaziergang täte mir gut.«
Während sie sich Sandalen und einen Schal holte, ließ Harley das Dingi zu Wasser. Der unvermeidliche Kachin saß im Bug. Als Harley ihr gelassen in das Boot half, konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen: »Mußt du unbedingt eine bewaffnete Anstandsdame mitnehmen?«
Er setzte sie in den Bug und ergriff die Ruder. »Vielleicht bin ich nur zu faul, ein Gewehr zu tragen.«
Ihre Augen verengten sich. »Du würdest mich wirklich erschießen lassen?«
Er dachte daran, wie nahe sie bei Mandalay waren. »Ja.«
Ihr grimmiges Schweigen ignorierend, als sie an Land gingen, führte er sie das Ufer hoch. Dort spazierten sie über einen Sandweg zwischen verstreuten Pagoden, die von Dornensträuchern und rotblühenden Kakteen umgeben waren. Hinter einem Tamarinden- und Palmenhain ragte der riesige Tempel von Sala-muni auf. Vielleicht eine halbe Meile hinter Sala-muni hoben sich die Myriaden anmutiger, weißer Türme von Ananda und die goldgekrönte Ti.
Harley erzählte ihr wie ein gelangweilter, aber höflicher Gastgeber, daß viele der kleineren Tempel von Anawrahta erbaut worden waren, einem Kriegerkönig, der mit Scharfsinn und Kriegselefanten im 9.
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