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Rangun

Rangun

Titel: Rangun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Monson
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Jahrhundert ganz Birma beherrscht hatte. Im zehnten Jahrhundert war Ananda im indischen Stil erbaut worden, nach Ananda Sala-muni, doch nur, um von Kublai Khan zerstört zu werden. »Der Khan besetzte den oberen Teil Birmas für ein paar Jahre, verzichtete dann aber darauf. Europäische Händler begannen auf Birma Einfluß zu nehmen, und eine Weile beherrschte ein portugiesischer Abenteurer namens Nicote den unteren Teil. Im achtzehnten Jahrhundert machten die Chinesen Birma zu einem Schlachtfeld, wobei es um ihren Ming-Kaiser ging, der im Exil war.«
    Die Sonne war untergegangen. Sie blieben stehen, während der Kachin eine Laterne anzündete, und begaben sich dann zu den künstlichen Terrassen von Ananda. »Nach der Einverleibung Indiens«, fuhr Harley fort, »mißfielen den Briten die Kabbeleien mit Birma an der Ostgrenze, und sie mißtrauten der Stabilität eines Landes, in dem Monarchen regelmäßig in Blutbädern gewechselt wurden, die auch leicht Ausländer treffen konnte. Also schickten sie mit der Sachlichkeit von Bankiers ein Expeditionsheer und sicherten innerhalb eines Jahres ihren Einflußbereich in Birma. 1853 war halb Birma Provinz von Britisch Indien. Mindon verlegte seine Hauptstadt nach Mandalay.«
    Während Harley all dies mit der Leidenschaftslosigkeit eines Fremdenführers erzählte, fragte Lysistrata sich, welches Interesse er an der Entkolonisierung Birmas haben mochte. Wäre der winchestertragende Kachin nicht gewesen, hätten sie Flitterwöchner sein können, die im romantischen Mondlicht zwischen den Tempeln spazierten.
    Obwohl Ananda Altersspuren zeigte, hatte die Zeit seine blauweiße Schönheit nicht getrübt. Die Turmreihen fügten sich zu einem Kelch, gekrönt von einem goldenen Ti, der in der tintenblauen Nacht nach großen, diamantenen, tropischen Sternen griff. Das Bauwerk schien über der Erde zu schweben. Ringsum herrschte Stille, gerade so, als ob die Zeit zu sein aufgehört hätte, bis auf ein gelegentliches Rascheln von Palmenblättern und dem fernen Seufzen des Flusses. Man spürte nur den Atem des Windes. Ein träumendes Zeitalter.
    Lysistrata, die im Mondlicht wie eine blasse Gupta-Gestalt aussah, spürte Harleys Blick auf sich. Ihm schien es selbstverständlich, daß sie ihm folgte, und so wandte er sich ab und schlenderte auf die Terrasse zu. »Hast du dieses Relief bemerkt?« fragte er. »Es ist außergewöhnlich.«
    Außergewöhnlich, in der Tat. Lysistratas Augen weiteten sich, als sie die fast lebensgroßen Steingestalten am Sockel des Monumentes sah. Von Huri-ähnlichen Engeln und Tänzern durchsetzt, waren äußerst irdische Männer und Frauen auf unglaublich einfallsreiche Weise sexuell vereint. Schockiert und fasziniert zugleich sah Lysistrata Biegung auf Biegung, Brüste auf Gesäß, Lächeln auf Lächeln. Harley blieb bei einer lieblichen, lasziven Gestalt stehen, und sie zuckte leicht zusammen, als er sich umdrehte.
    »Diese kleine Tänzerin ist mein Liebling. Ist sie nicht wundervoll?« Er berührte die Wange der kleinen Figur mit zarter Hand. Sein Lächeln war weich wie das eines Knaben, und sie erinnerte sich daran, wie er in Dalhousie Gardens den Kindern und ihren Drachen zugeschaut hatte.
    »Ja«, stimmte Lysistrata mit großer Ernsthaftigkeit zu, »das ist sie.« Diese Tänzerin bedeutete Leben für ihn, weniger mit Geilheit als von Poesie erfüllt. Und was bin ich für ihn? überlegte sie traurig. Fleisch ohne Poesie.
    »Manche Dinge muß man einfach berühren.« Harley streichelte den Hals der Tänzerin, ihre Schultern. »Sie fühlte sich immer warm an... auch lange nach Sonnenuntergang.«
    »Wann hast du sie entdeckt?«
    »Bei meiner ersten Fahrt flußaufwärts. Ich war zehn.« Sein
    Mund verzog sich wunderlich. »Sie hatte die richtige Größe für eine Schwester.«
    Schwester? dachte Lysistrata, die voller Unbehagen verfolgte, wie seine Hand sinnlich über eine volle Brust glitt.
    Er lachte leise. »Vater verstand das falsch. Er gab mir ein Nautch -Mädchen.«
    »Mit zehn?«
    Er zuckte die Schultern, wobei seine Hand jetzt auf einer steinernen Hüfte ruhte. »Im Osten kommen die Kinder früh in die Pubertät.«
    »Aber... du hast doch nicht...?«
    »Warum nicht?« fragte er einfach.
    Soviel zu dem unschuldigen Jungen in ihm. Sie wandte sich abrupt ab.
    Harley faßte ihren Arm. Für einen erstarrten, verwirrten Moment stand sie da, seine Finger warm auf ihrer Haut, seine Augen ohne Unschuld. In diesem Moment fühlte sie sich nackt, nur vom Wind und dem

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