rank und schlank und rattenscharf
fotografieren. „Darf man hier fotografieren?“ — „OK.“ — Einer nimmt mir meine Kamera aus der Hand, bietet mir seinen Platz an, damit ich auch aufs Bild komme. So entsteht das zweite Foto, auf dem ich auch drauf bin.
Ich frage noch mal den Jungen: „Wo ist denn hier der nächste Laden?“
- „Drei Kilometer von hier.“ — „Danke.“ — Ich mache mich wieder auf den Weg, denn es sieht nach Regen aus. Seine Angaben stimmen und ich erreiche das nächste Dorf, eher ein kleines Kaff. Hier gibt es keinen erkennbaren Laden, dafür aber ein Schild, dass der nächste Ort Belorado heißt und weitere sechs Kilometer entfernt ist. Dann latsche ich die sechs Kilometer eben auch noch, das wird ja irgendwie noch zu schaffen sein. — Der Hunger wird immer größer und ich sehne diesen Ort mit meinem Magen herbei. Schließlich erreichen wir die Albergue a Campino in Belorado. Vor dem Restaurant auf der Terrasse stehen jede Menge Tische und Stühle. Ich setze mich ohne zu fragen schnell hin, wegschicken — wie gestern — lasse ich mich heute nicht. Ich bin kein Penner, ich bin ein echter Pilger!
Der Besitzer kommt und bringt mir die Speisekarte. Ich bestelle einfach drauf los, Hauptsache was zu essen. Erst einmal zwei belegte Brote, dann Kartoffelpuffer und zu jedem Gang ein Wein. Ein Pärchen aus Baden Baden schaut auf die Speisekarte an der Wand und studiert die angebotenen Gerichte. Mit ihnen komme ich sofort ins Gespräch und bitte sie, ausreichenden Abstand zu uns zuhalten. Wir unterhalten uns eine ganze Stunde über alles Mögliche, als urplötzlich Jürgen neben mir steht. „Wer oder was hat Dich denn hierher gebracht?“ — „Wieso?“ — „Wo kommst Du denn jetzt her?“ — „Ich habe schon mit andern Pilgern im Ort gegessen und getrunken. Vielleicht habe ich auch schon einen zuviel getrunken.“ — „Was machst Du hier?“ — „Ich schlafe in dieser Herberge.“ — „Aha.“ — Hier schläft auch das badische Pärchen. Sie trinken den ganzen Abend Bailey mit Eis. Ich scherze darüber, ob es überhaupt zusammen passt, auf dem Jakobsweg zu pilgern und abends Bailey auf Eis zutrinken. Wir sind eine lustige Runde und lachen viel. Es ist mittlerweile reichlich spät geworden und die zwei verabschieden sich von uns. Wir wünschen uns einen guten Weg und eine gute Nacht.
Jürgen und ich trinken noch einige Karaffen Wein, so lange, bis wir nichts mehr bekommen, hier wird jetzt geschlossen. Jürgen fragt mich: „Wo schläfst Du denn heute Nacht?“ Ich zeige an das Ende des Gartenlokals auf eine Wiese. „Dort willst Du schlafen?“ — „Ja, wo sonst? Meinst Du etwa, ich baue heute noch ein Zelt auf?“ — Ich bin froh, dass es heute nicht regnet. Jürgen bietet mir noch seine Dusche an. „Nee lass mal, ich bin so blau.“ — Wir verabschieden uns und Jürgen geht schlafen. Ich laufe mit meinem über die Schulter geworfenen Rucksack bis ans Ende des Biergartens. Hinter dem Gartentor beginnt ein wilder Acker. Neben mehreren Haufen von Gartenabfällen, das feuchte Gras ist hier kniehoch, rolle ich meine Isomatte aus. Heute kann ich mein Zelt nicht mehr aufbauen, ich habe den Kanal so richtig voll und kann nur noch hoffen, dass alles gut geht. Ich lege mich in meinen Schlafsack, Kira liegt auf ihrer Decke dicht neben mir an der Leine. Wieder liege ich auf einem abschüssigen Untergrund und friere die ganze Nacht. Die Kälte dringt durch meinen Schlafsack hindurch. Man ist das kalt, aber ich bin froh, kein Regen.
Am nächsten Morgen höre ich Stimmen und sehe, wie Jürgen von weitem zu mir herüber schaut. Ich hebe kurz meine Hand zum letzten Gruß und er marschiert wortlos los. Alles ist triefend nass, mit Zelt wäre es mit Sicherheit besser gewesen. So nah an der Albergue hätte ich mich nicht getraut zu zelten, außerdem war ich voll wie eine Haubitze. Mir geht es heute gar nicht gut, denn ich habe fürchterliche Kopfschmerzen. Das war ja gestern ein außerordentlich brutales Pilgersaufgelage!
Ich muss alles — so nass es auch ist — einpacken, auf Sonne brauche ich heute Morgen nicht zu warten, der Himmel ist bedeckt. Ich habe den Eindruck, ich werde die ganze Zeit beim einpacken vom Personal beobachtet, aber keiner sagt was. Ich binde Kira am Zaun fest, gehe in die Bar, hole mir etwas zu essen und einen starken Kaffee. Das Pärchen von gestern Abend ist auch schon auf und sitzt genauso verknittert wie ich am Tisch und frühstückt. Welch ein Luxus. Ich stelle mich draußen an
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