rank und schlank und rattenscharf
hören will. Dann muss er eben fühlen.
Ich will mir die Strümpfe und Schuhe anziehen, muss dabei ständig auf Kira achten und sie festhalten. Der steht so nah bei mir, dass ich nicht einmal aufstehen kann. Mensch, ist der bekloppt? Der merkt doch überhaupt nichts mehr. — Nach einer guten halben Stunde bin ich nass geschwitzt und stehe endlich wieder auf den Beinen. Ich hieve meinen Rucksack hoch und er geht endlich weiter. Das ist gerade noch mal gut gegangen. Er geht nach rechts, ich nach links.
Im nahe gelegenen Ort ist am Ortseingang die erste Touristeninformation, die ich sehe. Ich binde Kira draußen an, gehe hinein und will nach Campingplätzen am Jakobsweg fragen. Die junge Frau versteht mich nicht. Sie gibt mir ein Faltblatt, auf dem der Jakobsweg eingezeichnet ist. Das ist schon mal etwas, aber ich will doch wissen, wo der nächste Campingplatz ist und wie weit er vom eigentlichen Weg entfernt ist! Sie meint: „In Burgos.“ — „Aha, und wieviel Kilometer vom Jakobsweg entfernt?“ — „Sechzig.“ — „Wie, sechzig Kilometer, das kann doch nicht wahr sein!“ — Mit Sicherheit hat sie das falsch verstanden. Das ist vielleicht blöd, wenn in der Touristeninformation Personal arbeitet, die kein einziges Wort Deutsch können. Bis hierher bin ich ohne eine Karte gekommen und werde auch weiterhin ohne ausgekommen.
Ich stelle mir immer wieder dieselben Fragen: Woher wussten die Pilger früher, wo es nach Santiago de Compostela geht? Die gelben Pfeile gab es damals noch nicht. Welche Orientierungshilfen hatten sie? Haben sie andere Zeichen gekannt?
Ich verlasse das Büro, das für mich keine brauchbaren Infos hatte. Kiras Pfote verarzte ich noch mal neu, gehe durch den Ort und überquere eine Hauptstraße. Hier steht die Polizei und kontrolliert die Autofahrer mit einer Laserpistole. Gut, dass ich zu Fuß unterwegs bin. In einem kleinen Fluss liegen runde Betonsteine, auf denen ich trockenen Fußes zur anderen Seite komme. Plötzlich stelle ich fest, dass mir etwas fehlt. Mein Pilgerstab! Ach du grüne Neune, jetzt bin ich schon so weit ohne ihn gelaufen und merke es erst jetzt. Ich muss ihn an der Touristeninfo draußen auf der Bank liegen gelassen haben. Bloß schnell zurück, hoffentlich ist er nicht schon weg!
Fast zwei Kilometer muss ich mit meinen geschundenen Füßen wieder zurück flitzen. Als ich dort ankomme, sitzen der einheimische Blödmann und ein Pilger vor der Info. Mein Pilgerstab liegt genau da, wo ich ihn vergessen habe. Ich bin heilfroh, dass ich ihn wieder habe. Nur ein Stock? Er hat mir bisher schon gute Dienste erwiesen, ohne ihn wäre mancher Weg noch schwieriger gewesen.
Im nächsten Dorf, Castildelgado, werde ich von dem Mann eingeholt, der vorhin mit auf der Bank gesessen hat. Ich frage ihn, ob er ein Foto von Kira und mir machen würde. Wir stehen genau vor einem alten, antiken Rundbogen. Es ist das erste Foto von Kira und mir, sonst ist nur sie allein auf allen Bildern. Die Übergabe und Erklärung der Kamera gestaltet sich als äußerst schwierig. Kira flippt mal wieder völlig aus.
In Villamayor del Rio kommen wir zu einem besonderen Refugio. Auf einer Schiefertafel steht „Welcome, Santiago 547 km“ und ich müsste unbedingt meinen Fotoapparat und mein Handy laden. Ich spüre es: Dieser Ort hat etwas besonderes, er strahlt eine wohltuende Ruhe und Geborgenheit aus, eine kaum zu beschreibende Spiritualität. Hier muss irgendetwas sein, was mir dieses Gefühl vermittelt, ich kann es mir nicht erklären. Ich möchte meinen Stein hier ablegen, den ich aus Griechenland mitgenommen habe.
Ein junger Bursche sitzt auf der Stufe in der Eingangstür und spielt Flöte. „Kann ich einen Kaffee haben?“ — „Si.“ — „Kann ich meine Akkus hier aufladen?“ — „Si.“ — Der ist in Ordnung. Wir gehen hinein und er zeigt mir die Steckdosen, an denen ich alles anschließen kann. Der Kaffee ist nur noch lauwarm, schmeckt abgestanden und steht bestimmt schon seit Stunden auf der Warmhalteplatte. Aber ist egal. Ich setze mich an einen Tisch vor der Tür und schreibe in meinem Tagebuch. Neben mir hängt Wäsche zum Trocknen auf einem Wäscheständer und in der Herberge ist man mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt. Der Sprache nach handelt es sich überwiegend um Franzosen.
Ein Bild hängt in der Herberge an der Wand und im vorbeilaufen denke ich, es könnte Jesus beim letzten Abendmahl sein. Ich schaue noch mal genauer hin und möchte es
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