rank und schlank und rattenscharf
sehe ich ihre leuchtenden Augen im Licht meiner Taschenlampe. Ich schnauze sie an: „Wo warst Du denn? Komm bloß rein. Du bist doch wohl verrückt. Das fehlt mir auch noch, dass Du türmen gehst!“ — Sie kriecht über mich zurück ins Zelt auf ihren Platz und wir schlafen wieder ein.
Am nächsten Morgen werde ich früh wach und schreibe schon um 7.30 Uhr in meinem Tagebuch. Im Liegen zu schreiben ist nicht einfach, das Abstützen auf den Ellenbogen schmerzt schon nach wenigen Minuten. Ich stehe auf, packe meinen Rucksack und nehme meinen Verpackungsmüll vom Einkauf mit. Hier liegen noch einige leere Flaschen herum, auch diese hebe ich auf und nehme sie mit. Ich möchte diesen anvertrauten Ort so sauber wie möglich verlassen. Heute ziehe ich wieder die Wanderschuhe an, da meine Fußsohlen in den Sandalen schmerzen. Durch die dünne Schuhsohle spüre ich selbst die kleinsten Steine. Mal sehen, was der kleine Zeh dazu sagt.
Bevor ich wieder die Straße erreiche, wo der Jakobsweg verläuft, sehe ich von weitem einen Mann. Durch seinen auffällig schnellen Schritt fällt er mir sofort auf. Ungewöhnlich dieser Laufstil, alle anderen Pilger laufen langsamer, nicht so dynamisch. — Am Ortseingang von Grañón werfe ich den gesamten Müll in einen Abfallbehälter und gehe weiter bis zur nächsten Bar. Mehrere Pilger sitzen vor der Tür und frühstücken, auch der High-Speed-Tempopilger. Er trinkt nur einen Kaffee, für mehr reicht seine Zeit wohl nicht. Ich binde Kira an einem Brunnen fest, meinen Rucksack ebenfalls, und hole mir auch einen Kaffee, Wasser und ein Baguette. Ich gehe an seinem Tisch vorbei und er spricht mich an: „Wo ist denn der Willi?“ — Ich bin völlig irritiert über seine Frage. „Keine Ahnung, er wird 50-60 km vor mir sein. Woher kennst Du denn den Willi?“ — „Ich bin mit Willi zusammen gelaufen.“ — „Woher weißt Du denn, dass ich mit Willi losgelaufen bin?“ — „Er hat mir von Dir erzählt und da hier kein anderer mit Hund unterwegs ist, kannst Du es nur sein.“ — „Darf ich mich zu Dir setzen?“ — „Na klar! Ich bin mit ihm zwei Tage gelaufen.“ — „Und dann?“ — Im selben Moment scheißt ein vorbeifliegender Vogel direkt neben seinen auf dem Tisch liegenden Hut, verfehlt ihn nur knapp, allerdings trifft er genau seinen Rucksack. „Warte mal, ich besorge Dir ein paar Servietten.“ — Er heißt Samy und kommt aus Finnland, spricht perfekt deutsch und erzählt mir, wo er mit Willi zwei Tage gelaufen ist. „Dann musste ich zurück nach Finnland.“ — „Wie bitte? Nach Finnland?“ — Habe ich mich da verhört? — „Ich bin wegen der Konfirmation meiner Tochter zurückgeflogen. Da ich geschieden bin und meine Ex-Frau sehr religiös ist, hat sie unsere Tochter durch eine lutheranisch geprägte Konfirmandenbegleitung darauf vorbereitet.“ — Ich fasse es nicht und frage sicherheitshalber noch einmal nach: „Du bist wirklich zurück nach Finnland geflogen? Dann hast Du an den Feierlichkeiten teilgenommen und bist wieder zurückgekommen?“ — „Ja!“ — „Wieso hast Du es denn so kompliziert geplant?“ — „Es ging nicht anders, aus beruflichen Gründen.“
Samy ist mit Bus und Taxi nach Pamplona gefahren, von Barcelona nach Helsinki geflogen, vom Flughafen mit dem Taxi nach Hause und war um drei Uhr morgens im Bett. Um 10.00 Uhr fing der Gottesdienst an. Danach wurde etwas gefeiert und dann ging es den gleichen Weg zurück nach Spanien. Obwohl er sprachlich überhaupt keine Probleme kennt und sich überall schnell orientieren kann, bleibt es trotzdem eine unglaubliche Energieleistung, die er da vollbracht hat. Er hat in den letzten Tagen kaum geschlafen und läuft den Weg wahrscheinlich nicht bis zum Ende. Deshalb hat er dieses höllische Tempo drauf. Das ist der unbeschreibbare Wille eines echten Pilgers. Da brauche ich einzelne Details unserer Anreise gar nicht erst erwähnen. „Wir wollen bis Santiago kommen, dafür haben wir uns sechs Wochen Zeit genommen. Diese Zeit braucht man bestimmt für die achthundert Kilometer lange Strecke.“ — „Warum habt Ihr euch getrennt?“
- „ Willi läuft ein ganz anderes Tempo und schläft in den Herbergen. Er wollte nicht, dass ich meinen Hund mitnehme und es gab die eine oder andere Situation, in der er mir das deutlich gezeigt hat. Es ist einfach besser für uns beide, dass wir uns getrennt haben. Ich schlafe mit Kira im Zelt. Wir können nicht in den Refugios oder Pensionen
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