rank und schlank und rattenscharf
von der Türe aus: „Kann ich mit meinem Hund die fünf Meter durch die Kneipe zur Terrasse gehen?“ — „Si.“ — Warum geht es manchmal, aber meistens nicht? — Die Terrasse steht voll mit wunderschönen Blumen, Tischen und Stühlen. Nur ein Stuhl und ein halber Tisch stehen in der Sonne, der Rest ist noch im Schatten. Ich setze mich in die Sonne und bestelle mir einen Kaffee. In einer deutlich angenehmeren Position schreibe ich in meinem zweiten Tagebuch.
Zwei Mädchen stehen gegenüber vor der verschlossenen Apotheke. Vielleicht kann ich ihnen helfen? Ich rufe ihnen von der höher gelegenen Terrasse zu: „Sprecht ihr Englisch oder Deutsch?“ — „No!“ — Was ist denn das für eine Antwort? Welche Sprache ist das denn? Ich weiß es nicht. Ich könnte ihnen aus meiner mittlerweile reichhaltigen Reiseapotheke was abgeben; dann eben nicht. OK, dann setze ich mich wieder und schreibe weiter.
Der eine oder andere Pilger zieht jetzt an meiner Hochterrasse vorbei. Es ist jetzt 13.00 Uhr und meine Armbanduhr funktioniert trotz eines dicken Wassertropfens unter dem Glas wieder. Nach Astorga werden es nur noch wenige Kilometer sein. Ich hole mir hier in San Justo de la Vega Wasser und etwas zu essen. — Sind die Leute hier netter als anderswo? Sie strahlen eine spürbare Heiterkeit und Zufriedenheit aus. Erst der Wirt, jetzt die Angestellten im Laden.
Ich habe mich mit dem wesentlichsten versorgt und gehe mit Kira zum Fluss. Auf einer kurz gemähten grünen Wiese setze ich mich und mache es mir gemütlich. Ich lege alles Essbare vor mir aus und Kira bekommt schon wieder Wiener Würstchen, diesmal mit Brot; Baguette war aus. Sie geht immer wieder ins flache Wasser und wartet, dass ich ihr einen Stock zuwerfe, hier sind aber keine.
Während ich mit Anne telefoniere, kommen die zwei Pilger, die ich gestern im Fluss habe baden sehen. Sie wollen auch ans Wasser, aber als sie mich sehen, grüßen sie von weitem. Sofort machen sie auf dem Absatz kehrt und gehen auf die andere Seite der Brücke ins Wasser.
Von weitem kann ich sehen, dass sie sich im Wasser kaum auf den Beinen halten können. Einer krabbelt schon auf allen Vieren, um nicht auszurutschen, der Andere hat seinen Pilgerstab mit ins Wasser genommen. Die beiden laufen den Weg völlig anders als ich, unterhaltsam, lustig und sie lachen die ganze Zeit. — Die sind ganz schön leichtsinnig. Es braucht nur einer von ihnen unglücklich fallen und es hat sich ausgepilgert. Haben sie ein solch großes Gottvertrauen, dass ihnen nichts passieren wird?
Ich muss weiter. Beim Überqueren der Brücke stehen beide noch im Wasser, lachen und kreischen laut, während sie sich nass spritzen. Die haben Spaß ohne Ende, grüßen mich ein letztes Mal. Ich mache noch ein Foto von diesen lustigen Typen als Erinnerung und ich bin dann mal weg.
Es ist halb vier, ein sonniger Nachmittag und ich gehe in die Stadt. Ich setze mich in den Schatten, binde Kira am Tisch fest und überlege. Sind die an mir vorbeilaufenden Pilger heute schon von Hospital de Órbigo gestartet? Sie müssten sonst in dem Ort losgelaufen sein, wo ich die zwei Bier getrunken habe. Ich habe dort nur die Frau im Garten gesehen. Da haben bestimmt nicht alle diese Pilger geschlafen. Demnach sind sie ungefähr drei Stunden länger gelaufen als ich heute. Wenn sie morgens zwischen sechs und sieben Uhr aufgebrochen sind, ist es zu schaffen und doch eine ganz schön lange Strecke.
Es geht schon wieder an der Straße entlang. Sie ist glücklicherweise nicht so stark befahren, aber ich muss Kira wieder an die Leine nehmen. Vielleicht ist es auch das, was mich seit Tagen total nervt. Sie läuft sehr unruhig, wenn sie angeleint ist, ständig zerrt sie vorwärts und das überträgt sich auf mich. Vielleicht ist es also gar nicht der Autolärm?
In Murías de Rechivaldo angekommen, hole ich mir erst einmal Wasser am Brunnen. Ich drehe mich im Kreis und blicke in die staunenden Augen der Einheimischen. Pilger sehen sie bestimmt genug, aber einen mit Hund eher selten. — In unserer Tageszeitung stand vor einiger Zeit ein Bericht von einem Ehepaar, die mit ihrem Esel von Norddeutschland nach Santiago de Compostela liefen. Die Lokalpresse berichtete darüber, sie suchten noch einen Übernachtungsplatz für den Esel. Das Paar wurde vom Pfarrer aufgenommen. — Hier sind schon wieder einige freilaufende Hunde.
Ich frage zwei Männer nach dem Camino und einem Restaurant. Sie weisen mir den Weg in eine Straße und
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