rank und schlank und rattenscharf
höllisch weh. Ich tauche sie immer wieder langsam ein, ebenso, als ob es heißes Wasser wäre. Kira trinkt nur, sie traut sich nicht in diese schnelle Strömung, während ich entspannt auf der Betonkante sitze. Völlig unerwartet schüttet eine Frau zweimal hintereinander Wasser vom Balkon und trifft genau die Rinne. Ich erschrecke jedes Mal und würde am liebsten zu ihr hoch schreien „Achtung, ich sitze hier!“ — Ich glaube nicht, dass sie uns gesehen hat.
Wir gehen weiter, diesmal geht der Weg einige hundert Meter mal nicht an der Straße entlang. Hinter einer Wettermessstation legen wir uns unter einen Baum. Er steht am Rande einer Wiese und wirft einen großen Schatten. Es ist kalt im Schatten und ich überlege, ob ich mich mit Kiras Decke zudecken soll, doch dann stehe ich wieder auf und gehe weiter.
Wir laufen schon wieder an einer Straße entlang und ich beobachte meine Schritte. Ich habe einen wunderbaren Pilgerschritt drauf, mir fällt das monotone Geräusch beim Aufsetzen des Stockes auf. Das hat was, es ist wie meditative Musik, immer gleich, klack, klack, klack, aber sie wird immer wieder durch den Autolärm gestört. Das ist schade, so deutlich habe ich es bis jetzt noch nicht wahrgenommen.
Endlich geht der Pilgerweg rechts ab, wir verlassen die Hauptstraße. Eine kleine Straße führt mich in den Ort Valdeiglesias, endlich sind die Autos verschwunden. Gott sei Dank, diese wohltuende Ruhe. Auf dem Ortseingangsschild steht „Santibáñez de Valdeglesias“ — ist das eine Idylle! Selbst der Lärm einer Kettensäge, mit der Männer gerade einen Baum absägen, kann mich nicht stören, alles andere außer Autolärm ist zu ertragen.
Ich treffe zwei Jungen und frage sie: „Gibt es hier eine Bar oder einen Laden?“ — „Eine Bar schon, einen Laden nicht.“ — Ich laufe weiter und komme zur Kirche in der Dorfmitte. An der Türe hängt ein Zettel in mehreren Sprachen. Darauf steht: „Die Kirche ist zur Besichtigung für Pilger offen.“ — Das werde ich mal nutzen, hier kann es mit Kira funktionieren. Ich habe die seltene Gelegenheit, mal wieder in eine Kirche zu gehen und will sie mir auch ansehen. An einem Eisenzaun gegenüber der Kirche binde ich Kira an.
Ich gehe hinein, mein Rücken ist nass geschwitzt. In einer der hinteren Bänke nehme ich Platz. Vor mir sitzen zwei alte Frauen in zwei verschiedenen Reihen. Ein Ort der Stille. — Was haben sie wohl mit Gott zu bereden? Was soll ich ihm sagen? — Ich bündle in der Stille meine Gedanken und danke meinen Schöpfer, dass er Kira und mich unbeschadet bis hierhin gebracht hat. Er hat mir einen erlebnisreichen, wunderbaren Jakobsweg geschenkt. Ich danke ihm für alle Dinge, die sich ereignet haben, für das Gute und das weniger Gute. Nie und nimmer waren es nur Zufälle. Ich sehe das Erlebte ganz deutlich als Führung und Fügung. Das kann nur derjenige nachvollziehen, der glauben kann.
Ich verweile so lange in der Kirche, bis ich unruhig werde und nach Kira schauen muss. Sie ist ruhig, aber als sie mich kommen sieht, beginnt sie mit einem großen Freudengejaule. Wir biegen an der nächsten Straßenecke links ab und stehen vor einer Bar, sie ist zu. Wenige Meter weiter ist ein Refugio oder eine Albergue. Ich gehe durch die offen stehende Tür. — „Hallo, ist hier jemand?“ — Zwei Männer sind dort, der eine telefoniert, der andere läuft umher. Durch das offene Fenster kann ich in den Garten sehen, im Schatten sitzt eine Frau und liest. — Ich frage den umherlaufenden Mann, ob ich was zu trinken bekommen kann. Er deutet an, ich solle warten, bis der Kollege mit dem telefonieren fertig ist. Es dauert noch einige Minuten und ich stelle die gleiche Frage noch mal. Er fragt: „Wasser?“ — „Wasser ist OK.“ — „Oder Bier?“ — „Bier ist auch OK.“ — Er zeigt in der nicht so gepflegt aussehenden Küche auf den Wasserhahn am Spülbecken, in dem sich das Geschirr stapelt. Ich frage: „Drinkwater?” — „Yes, it’s OK.“ — Ich fülle mir beide Wasserflaschen und er gibt mir eine Flasche Bier. Er signalisiert mir, dass ich die geschenkt bekomme. Ich bedanke mich und setze mich vor der Tür auf einen Plastikstuhl.
Ich rufe Anne an und erzähle ihr, dass ich heute fast nichts gegessen habe. „Mir hat gerade jemand ein Bier geschenkt. Anne, Du kannst es Dir nicht vorstellen, die Straßen nerven mich enorm. Was meinst Du, soll ich ihn mal fragen, ob er mir noch ein zweites gibt?“ — „Du kannst doch fragen,
Weitere Kostenlose Bücher