Rankin, Ian - Rebus - 06 - Blutschuld
Zielscheibe zu sein. Er wusste, wie das war. In einem Mordfall arbeitete man als Team. Als Teamchef hatte Lauderdale die Aufgabe, die Kampfmoral zu stärken, die Leute auf Trab zu halten. Rebus gehörte nicht zum Team, nicht richtig jedenfalls, also bot er sich für gelegentliche Tiefschläge ohne Bandagen an.
Er ging an seinen Schreibtisch, der mehr denn je einer Müllkippe glich, um festzustellen, ob irgendwelche Nachrichten für ihn hinterlassen worden waren. Er hatte den Rest seines Wochenendes damit zugebracht, einerseits Patience so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen, andererseits zu versuchen, Abernethy oder wen auch immer sonst vom Special Branch an die Strippe zu bekommen. Er hatte eine Botschaft nach der anderen hinterlassen, aber bislang ohne Erfolg.
D.I. Flower näherte sich mit einem Grinsen Rebus’ Schreibtisch.
»Wir haben ein Geständnis«, begann er, »im Zusammenhang mit der Sache in der St. Stephen Street. Wollen Sie mit dem Mann reden?«
Rebus war auf der Hut. »Wer ist es?«
»Unstable aus Dunstable. Jetzt ist er endgültig übergeschnappt, verlangt ständig nach einem Curry und redet von Autos. Ich hab ihm gesagt, er würde sich mit einem Würstchen und einem Busfahrschein begnügen müssen.«
»Sie sind eine Seele von Mensch, Flower.« Rebus sah, dass Siobhan Clarke so weit war. »Entschuldigen Sie mich.«
»Fertig, Sir?«, fragte Clarke.
»Fix und fertig. Verschwinden wir, bevor sich Lauderdale oder Flower noch einen Gag auf meine Kosten erlauben. Nicht dass deren Witze mir jemals mehr als ein müdes Lächeln abringen würden …«
Sie nahmen Clarkes kirschroten Renault 5 und krochen hinter immer neuen Bussen in westlicher Richtung durch die verstopften Straßen, bis sie die schnellere Route durch den Grange nehmen konnten, die sie an der Abzweigung zu Arch Gowries Residenz vorbeiführte.
»Und dabei hatten Sie gemeint, der Grange würde nirgendwohin führen«, sagte Clarke, während sie energisch schaltete. Und es stimmte, das war wirklich die schnellste Verbindung zwischen St. Leonard’s und Morningside. Nur dass Rebus in seiner Eigenschaft als Polizist fast nie Anlass gehabt hatte, sich groß um Morningside zu kümmern, dieses vornehm verschlafene Viertel, in dem alte Damen mit weiß gepudertem Gesicht, wie einer Barockkomödie entsprungen, in Teestuben saßen und laut darüber nachdachten, was sie sich als Nächstes von der Kuchentheke holen sollten.
Morningside war nicht so exklusiv wie Grange. Dort wohnten auch Studenten, ganz oben in Mietshäusern an den Hauptverkehrsstraßen, und Arbeitslose, die sich aus Sparsamkeit in zu großer Anzahl zu kleine Wohnungen teilten. Aber wenn man an Morningside dachte, dachte man an alte Damen und deren merkwürdige Aussprache, als hätten sie allesamt als zweite Besetzung für Maggie Smith in Die besten Jahre der Miss Jean Brodie gespielt. Die Glasgower machten sich darüber lustig. Sie sagten, die Einwohner von Morningside dächten, Sex sei das, was nach der Fünf kommt. Für die alten Damen hätte Rebus seine Hand nicht ins Feuer gelegt, aber im Fall der Yuppies, die in Morningside mittlerweile einen größeren, wenn auch nicht annähernd so auffälligen Bevölkerungsanteil stellten, war das mit Sicherheit nichts als üble Glasgower Nachrede.
Eben um diese Yuppies zu versorgen sowie um die kleineren Unternehmen und Einzelhandelsgeschäfte am Platz zu bedienen, hatte in der Nähe der Ecke Comiston Road und Morningside Drive ein kleiner, mittlerweile florierender Computerladen eröffnet.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte der Verkäufer, ohne von seiner Tastatur aufzusehen.
»Ist Millie da?«, fragte Rebus.
»Nebenan.«
»Danke.«
Eine einzelne Stufe führte zu einem bogenförmigen Durchgang und einem anderen Teil des Geschäfts, der auf Outsourcing und Businesspakete spezialisiert war. Rebus hätte Millie fast nicht wiedererkannt, obwohl sonst niemand im Raum war. Sie saß nachdenklich an einem Terminal und trommelte mit den Fingern leicht gegen ihre Lippen. Sie brauchte eine Sekunde, um Rebus einzuordnen und tippte dann auf eine Taste. Der Bildschirm wurde schwarz, und sie stand auf.
Sie trug eine makellose Kombination aus schneeweißem Rock und leuchtend gelber Bluse und um den Hals eine einreihige Kristallkette.
»Ich kann Sie einfach nicht abschütteln, wie?«
Sie klang nicht unglücklich darüber. Ja, sie wirkte fast zu erfreut, sie zu sehen, strahlte sie geradezu an. »Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»Nicht
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