Raphael
einer U-Bahn und sehe dabei zu, wie ein Vampir genüsslich die restlichen Fahrgäste abschlachtet.
Ich muss hier weg. Fort von diesem Wahnsinn, dem Tod, dem schmerzerfüllten Stöhnen und den heiseren Schreien der drei, die noch am Leben sind. Stattdessen starre ich hilflos in grüne Augen, deren Besitzer aus der Hölle emporgestiegen sein muss.
Er hat so schöne Augen, fällt mir wiederholt auf. Wie kann er nur so ein 'Ding' sein? Ich begreife das einfach nicht. Es übersteigt alles, woran ich geglaubt habe. Er ist ein Vampir, aber Vampire gibt es gar nicht. Nur in meinen und den Träumen vieler anderer Menschen. Ich hätte nie geglaubt, dass sie so sind. Man erzählt kleinen Kindern die schlimmsten Horrorgeschichten, aber keine kommt im Entferntesten an das heran, was ich gerade mit meinen eigenen Augen mit ansehen muss.
Gott, bitte lass mich endlich aufwachen. Aber Gott ist nicht gnädig zu mir, ich fürchte, er ist nicht mal in der Nähe dieser U-Bahn, denn statt aufzuwachen, höre ich nur das heisere Lachen des Vampirs über mir, was den Blick auf seine spitzen Eckzähne freigibt, die nicht mehr weiß, sondern blutrot sind.
„ Du willst tatsächlich schon gehen, Caine McAllister aus Queens?“, fragt er fast liebevoll, bevor er mit dem blutverschmierten Daumen seiner rechten Hand sanft über meine Wange streicht, während er mit der linken Hand dabei ist, mich in die Bewusstlosigkeit zu würgen. „Dabei warte ich schon so lange auf dich. Sei jetzt kein Spielverderber. Es fängt es doch gerade erst an, Spaß zu machen.“
Zehn Uhr früh. Mitten in der Nacht – zumindest für Vampire – und ich bin wach, obwohl ich todmüde bin. Aber Weltwunder kann man um diese Uhrzeit von einem Vampir nicht erwarten. Schon gar nicht, wenn er, wie ich, den Rest der Nacht in Todesangst verbracht hat. Ich will wieder in mein Bett und diesen beschissenen letzten Abend vergessen, der mir außer Angst und Tod nichts eingebracht hat. Das Problem ist nur, ich kann weder das eine noch das andere tun.
An Schlaf ist nicht mal zu denken und mein nächster Gedanke, nämlich heute in dem gleichen Bett schlafen zu müssen, in dem Chris starb, verursacht bei mir Übelkeit. Die sich noch verstärkt, als ich damit anfange, mich zu fragen, wie ich Raphael gegenübertreten soll, sobald er aufsteht. Eine Frage nach Chris' Verbleib werde ich mir sparen. Ich habe weder mitbekommen, wann Raphael in der vergangenen Nacht mit der Leiche verschwand noch wann er zurückkam, aber er wird mir gegenüber sowieso nicht preisgeben, wo er ihn abgeladen hat.
Ein paar Sekunden später tappt das Objekt meiner Überlegungen lautstark gähnend und splitterfasernackt in die Küche, wünscht mir dabei mürrisch einen 'Guten Morgen' und wirft die Kaffeemaschine an. Ein tägliches Ritual, das mir keine Reaktionen mehr entlockt, weil ich längst daran gewöhnt bin, dass er nach dem Aufstehen nackt durch seine Wohnung läuft, um sich einen Kaffee aufzusetzen, an dem er dann eine Weile riecht, bevor er ihn mitleidig seufzend in den Ausguss kippt.
Setjan hat mir mal erzählt, dass Raphael den Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee liebt. Ja, auch Vampire haben Macken, und normalerweise würde ich darüber grinsen. Heute bringt es mich nur dazu, von der Couch aufzustehen und mit soviel Abstand zu ihm wie möglich, ins Badezimmer zu verschwinden, um zu duschen. Sehr heiß und sehr lange. Vielleicht höre ich danach auf, mich innerlich dreckig zu fühlen.
Als ich zurück ins Wohnzimmer gehe, in Shorts und T-Shirt gekleidet, und mich noch immer widerlich fühle, hat er sich auf der Couch niedergelassen und telefoniert über Lautsprecher mit Setjan. Ich bleibe im Türrahmen stehen, was Raphael genauso wenig kümmert wie die Tatsache, dass ich ihm und Setjan zuhöre.
„Wie hat er es erfahren?“, will Setjan gerade wissen.
„Vermutlich war einer von seinen Speichelleckern im Club und hat uns gesehen.“
„Möglich“, macht Setjan nachdenklich. „Wenn deine Spione recht behalten, dürftest du entweder bald Besuch bekommen oder er ruft an, um dich und den Jungen zu sich zu bestellen. Apropos, was ist mit dem Sterblichen?“
„Ist weg. Habe ich gleich nach dem Anruf erledigt.“
Setjan schweigt dazu. Eine ganze Weile sogar, dann räuspert er sich. „Du hast es vor deinem Jungen getan?“
„Hatte ich eine Wahl?“
Setjan seufzt. „Und Caine?“
Raphael schaut mich an, dann zuckt er die Schultern. „Steht im Türrahmen und hört uns zu. Hat heute
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