Raphael
Kincade. Er führt die Vampire in New York City ... Alle Vampire wohlgemerkt.“
„Mister Kincade.“
Reicht das als Begrüßung für diesen Vampir aus? Es scheint so, denn Raphael durchquert den großen Raum und lässt sich auf eine breite Ledercouch sinken, um uns über die Lehne hinweg anzuschauen. Ich sehe fragend zu Kincade, der daraufhin seufzend den Kopf schüttelt und einen sehr anklagenden Blick zu Raphael schickt.
„Hast du ihm denn gar nichts beigebracht?“
Raphael grinst jungenhaft. „Er ist ein Baby, Benedict. Was soll ich anfangen, ihm unsere Regeln zu erklären, solange er sich nicht einmal ohne Hilfe ernähren kann? Außerdem kannst du dich nicht beschweren. Immerhin war es dein Wunsch, ihn vor der allgemein üblichen Zeit kennenzulernen.“
„Wann habe ich schon einen Vampir in meiner Stadt, der keine Menschen beißen kann?“, murmelt der König der Vampire, Fürst, was auch immer, und blickt mich begeistert an. „Es nicht wollen, wie viele der Anfänger, meinetwegen, aber nicht können? Das ist neu.“
„Ich habe mir das auch nicht ausgesucht“, murre ich eingeschnappt und kann nicht verhindern, dass ich auch so aussehe, denn beide Vampire grinsen mich an.
„Er ist unverfroren“, meint Kincade anschließend und lehnt sich gegen seinen Schreibtisch aus dunklem Holz. „Wo hast du ihn gefunden? Es gibt viele Gerüchte über euch.“
„In einer U-Bahn.“
Kincade mustert Raphael neugierig. „Doch nicht etwa die U-Bahn, von der ganz New York wochenlang sprach. Es heißt, der letzte Waggon hätte ausgesehen wie eine Schlachtbank.“ Kincades Blick wandert zu mir. „Und an solch dreckigen Orten findest du einen Jungen wie ihn? Erstaunlich.“
„Er will erst mal ein Junge werden. Noch ist er ein Baby“, winkt Raphael ab und schenkt dem Vampirkönig einen merkwürdigen Seitenblick, der mir eine Gänsehaut beschert. Es ist eine Warnung. Ich würde zu gern wissen, wie lange die beiden sich schon kennen?
„Wie alt ist er?“, fragt Kincade, während ich zwischen ihnen umherschaue. Irgendetwas ist da, und es ist nicht rein freundschaftlich, obwohl ich das durch den lockeren Tonfall, in dem sie miteinander reden, zuerst dachte.
„Zweiundzwanzig.“
„Du liebe Güte.“ Der Vampirkönig lacht. „Seit wann stehst du auf so junge Hüpfer, Raphael?“
„Guck ihn dir doch an“, kontert der, was der Kincade danach auch tut und zwar so eindringlich, dass ich ihn dafür am liebsten schlagen würde.
Es ist nicht zu fassen. Die beiden reden über mich, als wäre ich gar nicht anwesend. So eine Unverschämtheit. Raphael und ich sollten uns dringend mal über höfliches Benehmen unterhalten. Langsam komme ich mir vor wie ein Ding, das zum Verkauf freigegeben ist.
„Hübsch ist er, wie wahr“, sagt Kincade abschließend und leckt sich genüsslich über die Lippen.
Meine Augen weiten sich entrüstet. Das schlägt doch jedem Fass den Boden aus. Dieser Typ begutachtet mich hier vor Raphaels Augen, als wäre der mein Zuhälter und ich seine Hure. Bevor ich Kincade dafür die Beleidigung an den Kopf werfen kann, die mir auf den Lippen liegt und die er verdient, schaltet sich Raphael ein.
„Bendict. Zeit ist Geld und von Beidem kann man nie genug haben. Kommen wir zum Thema. Warum hast du uns herbestellt?“
Kincade wird sofort ernst. „Natürlich. Du wurdest zu mir bestellt, weil mir einige absonderliche Gerüchte zu Ohren gekommen sind. Über dich, den Jungen und sogar einen Sterblichen, der in deiner Wohnung Unterschlupf gefunden haben soll, weil er der Bruder deines Zöglings ist.“
„Es ist schon erstaunlich, wie detailliert Gerüchte bei dir ankommen“, stellt Raphael in den Raum, bevor er mit den Schultern zuckt, so als wäre ihm das Ganze egal. „Hast du einen Sterblichen bei mir gefunden, der deine Gerüchte untermauert?“
Dieses Mal kaufe ich Raphael die 'Es interessiert mich nicht'-Tour nicht ab, nicht nachdem, was er und Setjan mir über Benedict Kincade erzählt haben. Wäre es ihm gleichgültig, hätte er die Sache gar nicht angesprochen. Außerdem ist seine Haltung, wie mir erst jetzt auffällt, zu betont lässig, um ernsthaft entspannt zu sein. Raphael traut Benedict Kincade offenbar keinen Millimeter über den Weg und diese Erkenntnis macht mich nervös.
Kincade lacht. „Nein. Es hätte mich auch gewundert, um ehrlich zu sein. Dennoch ...“ Sein Blick streift mich. „Er war dein Bruder, mein junger Freund. Hast du keine Gewissensbisse?“
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