ist der Respekt füreinander und für unsere Gemeinschaft, der Waverly zu einer ehrenwerten Einrichtung macht. Vergessen Sie nicht, Waverly ist nicht einfach nur ein Ort. Waverly hat seine eigene Persönlichkeit und Ethik. Jeder, der einen Waverly-Blazer und den stolzen Titel Waverly-Eule trägt, wird Teil dessen, was unsere Gemeinschaft ausmacht. Wenn wir eine Schule sein wollen, die Achtung verdient, müssen wir als ihre Angehörigen achtbare Menschen sein. Eine Eule zeichnet sich in erster Linie durch Anstand, Prinzipientreue und Rechtschaffenheit aus. Das sind die Werte, die jeder Waverly-Schüler verkörpern sollte und die Sie den Anwärtern und Anwärterinnen – unseren zukünftigen Eulen – vermitteln sollen, während Sie deren Bestreben unterstützen, der Waverly-Gemeinschaft beizutreten.« Marymount legte eine theatralische Pause ein, holte Luft und versicherte sich, dass ihm auch alle zuhörten, ehe er fortfuhr: »Es versteht sich natürlich von selbst, dass jeder, der die in Waverly so hochgehaltenen Werte nicht verkörpert, auch nicht hierher gehört und einen Makel auf seinem seit jeher bestehenden, hart erarbeiteten guten Ruf darstellt. Seien Sie versichert, dass Waverly keinerlei Blamagen dulden wird, solange ich hier bin. Das kann ich nur versichern.«
Marymount sah von seinem Rednerpult auf und seine kalten blauen Augen suchten die Menge mit Raubvogelblick ab. Tinsley schielte verstohlen nach ihren Mitschülern. Jeder hatte den Blick abgewandt und schien Angst zu haben, dem Dekan in die Augen zu sehen. Der Einzige, der das Bedrohliche in der Botschaft des Dekans nicht zu bemerken schien, war Sam, der jetzt erst entdeckt hatte, dass die Knöpfe an seinem Hemd perlmuttfarben rosa waren statt weiß. Er starrte sie bestürzt an, und Tinsley wunderte sich, wie er den runden Blusenkragen und die plissierte Schulterpartie hatte übersehen können.
Wieder blickte sie zu Jenny hinüber. Die verschlang jedes Wort, das Marymount von sich gab, und sah besorgt aus. Selbst ihre dunklen Locken wirkten nicht so kess wie sonst. Chloe, die neben ihr saß, drehte sich um und fing Tinsleys Blick auf. Sie zwinkerte Tinsley überdeutlich zu und musste sich wohl mächtig zusammennehmen, um nicht begeistert zu winken und zu rufen: »He, ich bin mit Tinsley befreundet!« Die Kleine mochte vielleicht noch nicht besonders gewieft sein, aber sie war von großem Nutzen.
Tinsley lächelte. Dekan Marymount ahnte ja nicht – zumindest noch nicht -, dass die Person, die er so lebendig beschrieb, genau genommen die kleine Jenny Humphrey war. Wie konnte jemand mit einem so großen Busen schon moralisch sein?
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Montag, 14. Oktober, 22:27 Uhr
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Miau!
Miau und schnurrediburr (Liebe Jenny),
hier Ecke West 99th Street und West End Ave fehlst du allen, vor allem mir, dem Kater Marx. Saure Milch schmeckt einfach anders, wenn du nicht da bist, und ich kann mich kaum dazu aufraffen, Mäuse auf die Feuertreppe hinauszujagen. Ich habe mir angewöhnt, in deinem Bett zu schlafen, aber das Mädchen, das da jetzt schläft, das Mädchen, das keine Haare hat (was ist sie eigentlich für eine Rasse, eine Sphinx?), scheint das nicht so sehr zu mögen. Wahrscheinlich weil sie nur Schwarz trägt, eine Farbe, auf der Katzenhaare überdeutlich zu sehen sind.
Liebste Jenny, meine Lieblingsherrin, wann sehen wir dich wieder? Deine Abwesenheit ist so schwer zu verdauen wie ein sehr großer Haarballen.
Beste Grüße
Kater Marx
PS Bitte rufe deinen Vater an! Ohne dich kommt er mir einsam vor. Er hört gar nicht mehr auf, mich zu bürsten.
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Die Waverly-Bibliothek ist ein Ort für ernsthafte Studien
Als Callie am Dienstagmorgen um eine Ecke im Obergeschoss der Bibliothek stöckelte, wehte ihr ein Hauch von Ölfarbe in die Nase. Sie warf einen Blick auf ihre schmale Cartier-Armbanduhr mit den winzigen Brillanten um das Zifferblatt und lächelte vor sich hin. Pünktlich. Es war ihr erster Ausflug in den sehr abgeschiedenen, sehr privaten Winkel der Bücherei, der Staxxx genannt wurde. Die Staxxx war den Schülern vorbehalten, die auf die Uni-Zulassung lernten, und es war allgemein bekannt, dass er von der Bibliotheksaufsicht so gut wie nie kontrolliert wurde. Die Eckregale waren überwiegend mit altmodischen Enzyklopädien und überholten Handbüchern bestückt und so schneite kein Mensch