Rasant und Unwiderstehlich
heraus – meinte er etwa sie? Sollte dieser Klugscheißer fliegen, würde sie sich bestimmt nicht die Augen ausweinen – und zerknüllte die Serviette. Viele andere zerknüllte Servietten lagen in kleinen Häufchen auf allen Tischen, und Tinsley fragte sich, auf wie vielen wohl von ihr die Rede war.
»T. C.« Heath nickte ihr förmlich zu, während eines der Serviermädchen – eine niedliche Blondine aus der Zehnten – eine ganze Platte mit gefüllten Pilzen vor ihn hinstellte.
Tinsley starrte wortlos zurück. Bisher hatte sie den kleinen Anwärter, der an Heaths Seite saß, gar nicht bemerkt. Sein hellbraunes Haar war in genau der gleichen Art zurechtgegelt wie das von Heath – die Seiten zurückgekämmt, der Oberkopf kunstvoll zerzaust – und Tinsley musste zweimal hingucken. Hatte Heath denn einen kleinen Bruder? Als der Junge nach einem gefüllten Pilz grapschte, fiel ihr auf, dass er sich sogar fast genauso wie Heath bewegte . Freakig. Er versenkte den Pilz in seinem Mund, Tinsleys Blick blieb an dem gerafften Ärmel seiner himmelblauen Bluse hängen. Das Teil sah aus, als stamme es aus der Junior-Miss-Abteilung von Bloomingdale’s.
»Hübsches Hemd«, bemerkte Tinsley und vergaß zu flüstern. Alle am Tisch wandten sich ihr erschrocken zu, als wären sie auf Tauchstation vor dem Feind und Tinsley hätte gerade ihre Position verraten.
»Genau, cool, was?«, meinte der Anwärter und machte Heaths Kopfbewegung beim Sprechen nach.
»Das ist mein Junge, Sam«, flüsterte Heath und stieß die Fäuste in vorsichtigen, kleinen Triumphgesten in die Luft. Sam machte es ihm sofort nach und alle am Tisch kicherten.
»Wusste gar nicht, dass du schon Vater bist, Ferro.« Alan St. Girard beugte sich vor und klaute sich einen von Heaths Pilzen. Er hatte sich für das offizielle Abendessen seine struppigen Bartstoppeln rasiert und man sah den rosafarbenen Babyspeck seiner Wangen. Tinsley schaute sich nach seiner Freundin um und entdeckte Alison Quentins glänzende schwarze Haare an einem runden Tisch in einer der Saalecken. Dort saß sie mit Jenny und, wie Tinsley mit Genugtuung feststellte, mit Chloe. Tinsley nahm einen Schluck Wasser und überflog den restlichen Raum, bis sie schließlich Julians vertrauten hübschen Kopf an einem Tisch mit Squash-Spielern entdeckte, so weit von Jenny entfernt wie nur möglich. Tinsley nahm noch einen Schluck Wasser, stellte sich vor, es sei Champagner, und gratulierte sich zu einem perfekt erledigten Job.
»Sam ist mein Schützling«, prahlte Heath und klopfte Sam auf die Schulter. »Er wird die legendäre Ferro-Tradition noch lange nach meinem Abgang fortführen.«
»Was schon ziemlich bald der Fall sein könnte, was?« Tinsley lächelte, lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, was, wie sie wusste, die Aufmerksamkeit auf ihren perfekten Busen lenkte.
»Wir werden sehen.« Heath sah sich um.
Ein Murmeln ging durch den Raum und Dekan Marymount betrat das mit dem Eulenwappen geschmückte Podium im vorderen Teil des Speisesaals. Er ließ den Blick über die Menge gleiten und sagte etwas, was keiner verstehen konnte. Dann griff er unter das Rednerpult und stellte das Mikrofon an. Alle drehten die Köpfe und sahen sich um, doch blieb es dabei unerwartet ruhig. Marymount klopfte mit zweien seiner dicken Finger auf das Mikrofon und ein Geräusch wie knisternder Donner drang allen an die Ohren. Inzwischen fingen die einen oder anderen zu kichern an. Tinsley verzog keine Miene und wandte den Blick auch nicht ab, als Marymount sie direkt anzusehen schien.
»Wir freuen uns, unsere Gäste hier willkommen zu heißen«, begann der Dekan seine Rede. Seine Stimme war feierlich und ernst, so als spräche er zum obersten Gerichtshof und nicht zu einer Gruppe wilder Teenager. »Waverlys ausgezeichneter und die Jahre überdauernder Ruf gründet sich zu einem wesentlichen Teil auf unserem Traditionsbewusstsein. Unser Ansehen nicht nur innerhalb unserer Gemeinschaft, sondern auch in der Öffentlichkeit im Allgemeinen verdanken wir der noblen Verbindung von Ehre und Respekt, zwei Prinzipien, die sich gegenseitig bedingen und zusammengehalten werden von einem dritten Grundsatz: der Wahrheit.«
Tinsley presste die Lippen zusammen und starrte Marymount an. Sie hatte das Kinn auf die hohle Hand gestützt und hoffte, dass diese Pose nach Interesse aussah. Sie linste hinüber auf den letzten gefüllten Pilz auf Heaths Vorspeisenplatte und ihr Magen knurrte leicht. »Es
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