biss sich auf die Lippe. In seinem verblassten blauen Polohemd und der abgetragenen Khakihose sah er aus wie einer der Jungen von St. Jude, die sie im Central Park immer hatte Frisbee spielen sehen. Jenny fragte sich, was wohl passiert wäre, wenn sie ihn dort kennengelernt hätte – weit weg von Waverly und weit weg von Tinsley Carmichael. Hätten sie dann eine Chance gehabt? »An dem Morgen nach dem Feuer, als wir spazieren gegangen sind, wollte ich dir das mit Tinsley erzählen«, sagte er, zog eines der leeren Schubfächer heraus und schob es wieder zu.
»Und warum hast du es nicht gemacht?«, fragte sie, zog die Knie an die Brust und schlang die Arme darum. »Warum hast du mir nichts davon gesagt, ehe wir uns geküsst haben?«
Julian konnte sie nicht ansehen. Er ließ den Kopf hängen, nahm eine vergessene Haarnadel von der Kommode und drehte sie zwischen den Fingern. »Weil alles mit dir so… schön war. Das wollte ich nicht aufs Spiel setzen.«
Jenny merkte, wie sie allmählich weich wurde. Julian. Aber selbst wenn sie ihm vergab, was brachte das? Sie ging fort und nahm den nächsten Zug, der Rhinecliff verließ.
»Und später hab ich es dir nicht gesagt, weil … weil ich dich vor Tinsley beschützen wollte.« Seine braunen Augen waren gerötet und traurig. Ein Schauer rann ihr über den Rücken, und sie zog den Reißverschluss ihrer grünen Armeejacke hoch, einem H&M-Ausverkaufsteil von Stella McCartney. »Ich bin ziemlich sicher, dass sie für das Feuer verantwortlich ist … doch ich hatte Angst, dass sie versuchen würde, es dir in die Schuhe zu schieben, wenn sie das mit uns rausfindet.«
»Warum sollte sie das tun?«, fragte Jenny. Sie versuchte, möglichst unbeteiligt zu klingen. Die Frage galt eigentlich nicht Julian; es war die Frage, die sie sich die ganze Zeit selbst zu beantworten versuchte. Sie trat nach ihrem Koffer, und es war ihr egal, ob sie einen Kratzer ins Parkett machte.
»Weil ich dich lieber mag, als ich sie mochte. Ich mag dich nämlich sehr.«
Jenny hoffte, dass sie diese Worte nie vergessen würde. Ich mag dich nämlich sehr. Das bedeutete ihr viel, es war das schönste Abschiedsgeschenk. Sie spürte, wie Julian sich wünschte, dass alles gut werden würde – dass sie ihm verzeihen könnte oder so -, aber das konnte sie ihm nicht geben. Das Problem war, dass sie gar nicht besonders wütend auf ihn war – sie war wütend auf sich selbst, so unglaublich dumm gewesen zu sein. Und zwar nicht einmal, sondern immer wieder.
»Mach dir keine Gedanken.« Sie zerrte den LeSportsac über ihre Schulter und griff nach ihrer lila Wildledertasche, in der die Bücher waren, die sie behalten wollte. Die anderen hatte sie im Regal stehen lassen. Damit konnte sich Callie befassen, oder wer auch immer einziehen würde. »Immerhin haben wir ein bisschen Spaß gehabt, nicht?« Ihre Stimme klang heiter und unecht, das merkte sie sogar selbst. Sie konnte ihn nicht mehr ansehen und konzentrierte sich stattdessen darauf, mit der freien Hand nach ihrem Koffer zu greifen. Ihr brauner Waverly-Blazer in dem Wandschrank wirkte winzig und verloren.
»Kann … kann ich dir helfen?«, fragte Julian hilflos und richtete sich zu voller Länge auf.
»Nein.« Jenny nahm die L.L.Bean-Tasche über die Schulter und packte den Griff des Samsonite. Sie drängte durch die Tür, so vollbepackt mit Taschen, dass sie fast stecken blieb, dann drehte sie sich um. Julian stand mitten im Zimmer und sah verloren aus. Es drängte sie, die Gepäckstücke fallen zu lassen, ihn in den Arm zu nehmen und zu küssen. Aber sie konnte nicht.
Entschlossen ging sie davon. Vielleicht war alles ja nicht ganz vergebens. Vielleicht hatte sie aus jeder der falschen Freundschaften und falschen Liebeleien etwas gelernt. In der nächsten Schule würde sie vielleicht endlich die coole und beherrschte Person sein, die sie immer hatte werden wollen.
Vielleicht.
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Hallo Kleine,
hoffe, dir hat’s in Waverly gefallen. Danke für deine Hilfe. Du hast das Richtige gemacht.
Tinsley
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Hi Tinsley!
Danke, dass du dich auf