»Du weißt doch, wie Tinsley ist – viel Lärm um nichts.«
Easy schien ihre Worte nicht gehört zu haben. »Reizend.« Er reichte ihr das Handy und schüttelte den Kopf, als wolle er alle Lügen von sich abschütteln.
»Easy!« Callies Augen brannten vor heißen Tränen. »Du kannst mich doch nicht einfach so stehen lassen!«
Aber das konnte er anscheinend.
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Mittwoch, 16. Oktober, 14:49 Uhr
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AW: Miau!
Lieber Kater Marx,
sieht so aus, als ob dein Wunsch in Erfüllung geht; ich komme heute Abend nach Hause. Ich erkläre alles, wenn ich da bin. Sag Vanessa, sie kann in meinem Zimmer bleiben, ich schlaf erst mal auf dem Sofa.
Bis bald, ihr Lieben
Jenny
27
Eine Waverly-Eule trägt den Kopf hoch – selbst wenn sie keine Waverly-Eule mehr ist
Jenny hievte ihre alte Reisetasche auf die Schulter und ging auf das wartende gelbe Taxi zu. Nur eine kurze Autofahrt und ein paar Stunden im Zug trennten sie von daheim, von der heruntergekommenen, aber gemütlichen Wohnung an der Upper Westside, von ihrem verrückten, wunderbaren, kochambitionierten Vater und von ihrem geliebten Kater. Hinter ihr ertönten Schritte und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie hoffte, dass es Julian war oder vielleicht Easy, doch als sie sich umwandte, sah sie Dekan Marymount. Seine Waverly-Krawatte flatterte ihm über die Schulter, während er auf sie zurannte. Ein matter, kalter Angstschauer kroch Jenny über den Rücken. Womit wollte Marymount sie denn nun noch zusätzlich strafen, ehe sie in das Taxi stieg und für immer verschwand? Wollte er ihr Handschellen anlegen oder so etwas?
Jenny warf einen letzten Blick auf den Campus. Sie liebte Waverly ja so, die roten Backsteingebäude, die Schüler mit den rosigen Gesichtern, die Traditionen. Sie liebte es, mit anderen ein Wohnhaus zu teilen, Feldhockey zu spielen und auf Partys im Wald zu gehen, Jungen zu küssen und mit ihren Freunden abzuhängen. Das alles würde ihr sehr fehlen.
»Warten Sie!«, rief ihr Marymount zu. Ein verärgerter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Er drosselte sein Tempo, joggte noch ein paar Schritte und blieb dann vornübergebeugt stehen, die Hände auf die Knie gestützt. Sein ergrauendes sandfarbenes Haar war in Strähnen quer über seine beginnende Glatze gekämmt.
Besorg dir lieber ein Toupet und lass den Unsinn , wollte Jenny ihm am liebsten zurufen.
»Mrs Miller hat gerade angerufen«, versuchte Marymount zu erklären, während er heftig nach Atem rang. Er richtete sich wieder auf und rückte seine Krawatte zurecht.
Jenny runzelte die Stirn und fragte sich, was das jetzt sollte. Wollte die alte Dame die Brandstifterin womöglich höchstpersönlich maßregeln? Würde man sie zwingen, die Überreste des Brandes zu beseitigen, ein verkohltes Stück Holz ums andere? Oder musste sie ins Gefängnis? An die Möglichkeit hatte sie gar nicht gedacht. War sie dafür nicht zu jung?
»Sie beharrt darauf, dass die ganze Geschichte … ein Unfall war.« Marymount zog seinen Pullover nach unten, sammelte sich und fuhr fort: »Sie behauptet, eine ihrer Kühe sei für das Feuer verantwortlich.« Seine kalten blauen Augen sahen Jenny durchdringend an, als wartete er nur darauf, sich auf ihre erste Gefühlsäußerung zu stürzen. Doch Jenny war zu verblüfft, um sich zu rühren. »Es ist mir schleierhaft, wie eine Kuh ein Feuer verursachen kann. Nichtsdestotrotz« – er blinzelte in die Sonne -, »sie sagt, sie sei sicher, dass es eine ihrer Kühe war. Was sagen Sie dazu?« Er stemmte die Hände in die Hüften und wartete auf eine Antwort.
Jenny hatte Schwierigkeiten, zu begreifen, was Marymount überhaupt meinte. Sie stellte ihre Tasche auf die Kiesauffahrt und rieb ihre taub gewordene Schulter. Sollte sie darauf wirklich antworten? Kühe, die ein Feuer auslösten? Sie verstand kein Wort von seinem Gefasel. Aber halt … Wollte er damit sagen, dass sie doch nicht von der Schule geworfen wurde?
»Kurzum, sie will nicht, dass jemand von Waverly für das Feuer zur Verantwortung gezogen wird«, fuhr Marymount mit unüberzeugter Stimme fort. »Ich persönlich halte sie für eine verrückte alte Schachtel, die schon zu lange allein lebt, aber …« Er kratzte sich den Kopf und einige der sorgfältig verteilten Haarsträhnen verrutschten und seine glänzende Glatze war zu sehen.
Der Taxifahrer drückte ungeduldig auf