Rasheed, Leila
regelrecht in Panik.
»Ich weiß nicht, wie wir das alles rechtzeitig schaffen sollen!«
Die Köchin hatte nur ausgesprochen, was alle dachten. Das war auch Roses erster Gedanke gewesen, als sie heute früh noch im Dunkeln aus dem Bett gesprungen war, bevor sie fröstelnd im Frühstückssalon den Kamin ausgefegt und Feuer gemacht, die Messingbeschläge poliert hatte und nach unten gelaufen war, um das heiße Wasser für die Badezimmer der Familie zu holen. Lord Westlake sollte morgen zurückkehren; sein Zimmer war zwar schon fertig, aber die der jungen Ladys erst zur Hälfte. Dass das Personal unterbesetzt war, machte es auch nicht leichter. Der Hausbursche war gerade gefeuert worden, weil er niemand Geringerem als dem ältesten Sohn des Marquis von Sunderland betrunken die Tür geöffnet hatte, und das Kindermädchen hatte gekündigt, was niemanden überraschte. Augustus, das Söhnchen von Sir William und Lady Edith, galt unter den Dienstboten als kleiner Teufel, der vor zwei Jahren aus der Hölle hochgeschickt worden war, um Somertons Bewohnern das Leben sauer zu machen. Nun war das Zimmermädchen ins Kinderzimmer abkommandiert worden – außer sich über diese Verletzung ihrer Würde, und natürlich musste ihre ganze Arbeit auf die anderen Hausmädchen verteilt werden, einschließlich Rose.
Mary, das zweite Hausmädchen, lief auf der Dienstbotentreppe an Rose vorbei nach unten, mit dem letzten leeren Wasserkrug in der Hand. Rose fasste sie am Arm.
»Mary! Bist du mit Lady Adas Zimmer schon fertig?«
»Lady Adas Zimmer?« Mary schüttelte den Kopf. »Sei kein Unmensch! Ich habe den ganzen Vormittag die Treppe geschrubbt, meine Knie bringen mich um. Und dann müssen wir auch noch den Salon fertig machen …« Sie eilte weiter; unter der schief sitzenden Haube rutschte ihr mausbraunes Haar heraus.
»Dann fange ich mit Lady Adas Zimmer an, wenn das in Ordnung ist, Mrs Cliffe?«, rief Rose ihrer Mutter zu, als sie den Dienstbotendurchgang entlanghastete.
»Ja, Rose, und danach musst du …«
Sie brach ab, als Martha, die Küchenhilfe, durch die Hintertür hereingeplatzt kam und rief, fast schrie: »Das Gepäck ist da. Die haben einen Tiger mitgebracht!«
Rose und ihre Mutter wechselten einen Blick, machten wieder kehrt und liefen zur Hintertür. Rose trat in den gepflasterten Hof hinaus, unschlüssig, ob sie Martha glauben sollte – was die den lieben langen Tag so alles zusammentratschte. Aber andererseits ließ der Lärm draußen durchaus einen Tiger vermuten. Wenn nicht mehrere.
Im Hof zerrte das Kutschpferd wie verrückt am Geschirr, während der Kutscher es zu beruhigen versuchte. Auf dem Fuhrwerk türmten sich Hutschachteln und Schrankkoffer. Tobias, der Stallbursche, reichte verschwitzt und in aller Hast das Gepäck zu James herunter.
»Ach Martha, das ist doch bloß ein Kaminvorleger«, sagte Rose erleichtert, als sie den zusammengerollten Tiger mit dem großen Maul sah. Aber in den toten, starren Glasaugen glomm immer noch etwas so Bedrohliches, dass sie sich flach an die Wand drückte, als James ihn hereintrug. Er roch nach Indien. Sie streckte die Hand aus, um das Fell zu berühren, halb in der Erwartung, dass sie sich an den feurigen Farben die Finger verbrennen würde.
Wenn Farben Musik wären, dachte sie, wäre das ein wilder Tanz. Fast hörte sie im Kopf den Rhythmus. Es juckte sie in den Fingern, ihn auf dem Klavier auszuprobieren. Aber dafür war keine Zeit; stattdessen sang sie die Melodie leise vor sich hin, damit sie sich daran erinnern könnte. Wenn sie nur einen ruhigen Abend für sich hätte, um all die Musik, die in ihrem Kopf tönte, aufzuschreiben! Aber dann müsste sie einen Stift und Papier stehlen und hätte alle Mühe, sie vor den anderen zu verstecken. Vielleicht war es besser so.
»Nicht zu glauben, wie viel Gepäck die geschickt haben«, sagte James beim Abladen. »Und es kommt noch mehr vom Bahnhof!«
Die Dienstboten drängten sich im Gang um die Gepäckstücke.
»Schaut mal die ganzen Hutschachteln an! Wie viele Köpfe haben die eigentlich?«, rief Martha. »Und was ist denn das?« Sie schnitt eine Grimasse zu dem Ungetüm, das ganz oben auf dem Haufen thronte und aussah wie eine riesige Blechblüte auf einem Holzkasten.
Rose hielt hörbar den Atem an. »Das ist ein Grammophon.« Sie konnte es kaum fassen. Sir William und Lady Edith hatten für Musik nichts übrig und es nie der Mühe für wert gehalten, ein solches Gerät anzuschaffen.
»Ein was? Ein
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