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Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)

Titel: Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Jensen
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so widerwärtig in ihn hinein. Die kleine Marie, die seit so vielen Jahren in seinem Wohnzimmer hing. Sein bestes Kinderporträt verwandelt in dieses grässliche Wesen. Damals hatte er einen kleinen Vorbehalt in ihrem Gesicht gesehen, einen kleinen bebenden kindlichen Schrecken, und mit seinem Pinsel hatte er ihn sensibel registriert. Doch das allmähliche Entstehen des Porträts hatte bei dem Kind etwas anderes zum Ausdruck gebracht, eine seelische Krankheit, die sie innerlich zerfraß und von jedweder menschlichen Gesellschaft vertrieb. Und er war der Grund dafür. Sein Gesicht musste über ihrer verdunkelten Seele hängen wie ein Mond, in dessen bleichen Schein nichts Gesundes wachsen konnte. Sein prüfender, forschender Blick, der Blick des Malers, hatte sie nie wieder losgelassen, und in dieser ständigen Nähe verkrüppelte ihre Seele in Unfreiheit und Angst. Wenn der Teufel in ihrer kleinen zermarterten Welt ein Gesicht und einen Namen hatte, dann seinen: Jens Erik Carl Rasmussen.
    Sein durchdringender Blick und das Bild, das unter seinem Pinsel entstand, hatten sie weit mehr geformt als ihre Eltern und die Umgebung. Die gewaltige Natur, die kalbenden Gletscher, der glühende Sommerhimmel und die tiefe Winternacht, nichts von all dem war nach der Begegnung mit seinem Pinsel noch zu ihr gedrungen.
    Wieder sah er Jonas vor sich. War er gekommen, um sein Verderben zu bezeugen? Oder hatte er sogar selbst dazu beigetragen? Was wollte er?
    Wieder wurde er von diesem Gefühl der Niederlage übermannt. Hatte er je etwas Gutes getan? Hatte er Freude um sich verbreitet? Würde er etwas hinterlassen, das erinnernswert war? Berendtsen kam persönlich herauf, um die Koffer zu holen. Er sagte nichts, aber es gab auch nichts zu sagen. Carl war erleichtert, dass er den Scherzen des Kolonialverwalters entging, in denen stets eine gewisse Brutalität lauerte. Seine Frau erschien nicht, um sich zu verabschieden. Vermutlich war sie froh, dass er verschwand und sie ihre Küchenhilfe wiederbekam. Bei ihm handelte es sich um ein störendes Element im Leben der Kolonie. Das blieb die Ironie der ganzen Geschichte. Verstoßen als Unruhestifter. Obwohl er in seinem Leben ausschließlich Beweise dafür geliefert hatte, dass er das Dasein als Idyll betrachtete. Er, der harmlose Schönmaler, der nichts anderes wollte, als mit allen auf gutem Fuße zu stehen.
    Er empfand für sich nur triefenden Hohn.
     
    Berendtsen zog an den Riemen, und das Boot glitt schwer auf die Peru zu. Sie gaben sich zum Abschied die Hand. Berendtsen entschuldigte sich ein weiteres Mal.
    »Ich bedauere, dass es so enden musste.«
    Carl erwiderte nichts. Er hatte dem Leiter der Handelsniederlassung bereits den Rücken zugekehrt, um die Leiter aufzuentern. Kapitän Thomsen empfing ihn an Deck, überrascht.
    »Nanu, bereits zurück, Rasmussen? Die Arbeit beendet? Hat Sie, wie nennt ihr Künstler das – die Inspiration verlassen?«
    »Nicht ganz, Kapitän.«
    »Was soll das heißen?«
    »Fragen Sie Berendtsen.«
    »Berendtsen?«
    »Ja, er sitzt unten im Boot.«
    Der Kapitän trat an die Reling. Carl hörte, wie er dem Kolonieverwalter etwas zurief. Dann schloss er sich in seiner Kajüte ein. Einen Augenblick später klopfte ein Matrose, der seine Koffer brachte. Carl begann auszupacken, hielt aber plötzlich inne. Er saß einfach da, gepackt von einer Sinnlosigkeit, als wäre sein Leben vorbei. Er wusste nicht, wie lange er so dagesessen hatte, als es an der Tür klopfte.
    »Herein«, sagte er mechanisch.
    Der Kapitän trat ein.
    »Störe ich?«
    Die Frage war lediglich rhetorisch gemeint, denn er hatte bereits in einen Stuhl Carl gegenüber Platz genommen. Dann schlug Thomsen mit der Faust auf den Tisch und fing an, dröhnend zu lachen.
    »Das ist ja wohl das Beste, was ich seit Langem gehört habe! Tja, auf jeden Fall müssen wir uns jetzt keine Sorgen mehr machen, dass sie hier an Bord herumrennen. Diese verrückten Eskimos. Aber ich muss Sie warnen, Rasmussen. Bei der Mannschaft sind Sie bald ebenso unbeliebt wie bei den Grönländern.«
    »Was meinen Sie?« Carl sah den Mann, der ihm gegenübersaß, unwillig an.
    »Na ja, diese Verrückten werden die Peru jetzt meiden. Aber die Männer müssen wieder allein schlafen.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Thomsen musterte Carl.
    »Sind Sie je in der Südsee gewesen, Rasmussen? Nein, vermutlich nicht. Aber sehen Sie, wenn ein Schiff eine Insel in der Südsee anläuft, dann kommen die eingeborenen Frauen in ihren Kanus

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