Rasmussens letzte Reise: Roman (German Edition)
Kräftige Hände packten und drückten ihn auf den Kojenboden. Er kämpfte dagegen an, aber das Wesen war unglaublich stark, und bald lag er still unter dessen eisernem Griff. Es packte ihn mit einer Hand in den Schritt, und trotz des Widerwillens und Ekels, der ihn erfüllte, reagierte er.
»Jetzt wache ich auf«, dachte er.
Aber er wachte nicht auf.
Das Wesen setzte sich rittlings auf ihn, und ihm wurde klar, dass es auch eine Frau sein musste. Es handelte sich um eine Schimäre, halb Frau, halb etwas anderes, um einen Mahr, der ihn ritt und ihn mit seinem wilden Ritt auf ein stöhnendes Tier reduzierte.
»Jetzt wache ich auf«, dachte er wieder.
Doch er wachte nicht auf.
Er lag ganz still, als fürchtete er, dass schon die geringste Bewegung ihn verraten würde, obwohl er und das Wesen längst miteinander verschmolzen.
Ihn hielt eine Passivität im Griff, die den Träumenden überkommen kann, wenn das Entsetzen ihn völlig umschließt.
Vielleicht fühlt es sich so an, wenn man ertrinkt, dachte er. Die Wirklichkeit verschwindet wie die Sonne, die auf der anderen Seite des Wasserspiegels blasser und blasser wird, bis sie am Ende erlischt. Der Traum nimmt uns vollständig gefangen. Es gibt keinen Weg zurück. Jede Hoffnung, irgendwann die bekannte Welt wiederzusehen, stirbt. Man ist für immer ein anderer.
Dann gab es keinen Gedanken mehr. Die allgegenwärtige Dunkelheit packte ihn, und er verschwand.
I n den nächsten Tagen war Carl überempfindlich und reizbar. Er blieb in seiner Kajüte und zeigte sich nicht an Deck. Auch als die Peru den Anker lichtete und auf südlichen Kurs ging, kam er nicht heraus, um einen letzten Blick auf die grönländische Küste zu werfen.
Wenn der Smutje aus der Tür seiner Kombüse trat, um zu verkünden, dass serviert sei, teilte er in abweisendem Ton mit, er wäre krank und wünsche nicht zu speisen.
Seine Isolation wurde unterbrochen, als Kapitän Thomsen eines Morgens fest an seine Tür klopfte und seinen Namen nannte.
»Ich möchte nicht gestört werden«, antwortete Carl mit einer Stimme, die heiser klang, da er sie so wenig benutzte.
»Ich muss Sie sprechen.«
Die Stimme des Kapitäns klang formell. Es war ein Ton, den er normalerweise nur seiner Mannschaft gegenüber gebrauchte.
»Ziehen Sie sich etwas an. Ich komme gleich wieder.«
Carl verließ seine Koje. Er hatte komplett bekleidet darin gelegen. Kurz darauf trat der Kapitän durch die Tür. Carl blinzelte ins Licht.
»Sitzen Sie hier im Dunklen? Sagen Sie mal, Sie sind doch nicht etwa krank? Na ja, ich will Ihnen meine Gesellschaft nicht aufzwingen, aber leider gibt es keine andere Möglichkeit.«
Thomsen warf einen musternden Blick auf Carl, dann sah er sich in der Kajüte um, als würde er nach etwas suchen.
»Ich muss Sie leider bitten, Ihre Kajüte zu verlassen. Es dauert nur einen Augenblick. Wenn Ihnen nicht gut ist, können Sie in meine Kajüte gehen und sich dort aufs Sofa legen.«
Carl sah ihn fragend an.
»Worum geht es denn?«
Thomsen zuckte die Achseln.
»Tja, ich bedauere. Der Koch behauptet, dass Proviant verschwindet. Wir glauben, dass sich ein blinder Passagier an Bord befindet. Wir sind dabei, den Mannschaftsraum und alle Kajüten zu durchsuchen. Es gibt mehr Verstecke auf so’nem Kahn, als man meinen sollte.«
»Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich …?«
»Ich glaube gar nichts, Rasmussen. Aber ich kann keine Ausnahmen zulassen. Das würde auf die Mannschaft keinen guten Eindruck machen.«
Thomsen ging auf Carls Koje zu und begann sie zu durchwühlen.
»Das ist ja empörend!«
Der Kapitän hielt inne und drehte sich zu ihm um.
»Ich bitte Sie, die Kajüte zu verlassen.«
»Verdächtigen Sie mich, einen blinden Passagier zu verstecken?«
»Ich verdächtige niemanden, Rasmussen. Aber in der letzten Nacht in Godthåb hatten Sie doch offensichtlich einen Gast. Mir wurde von einem gewaltigen Lärm aus Ihrer Kajüte berichtet.«
»Ich hatte einen Albtraum. Das ist wohl meine Privatsache.«
Carl war entrüstet. Er fühlte sich bloßgestellt.
Der Kapitän hatte ihm den Rücken zugewandt und setzte seine Untersuchungen fort. Seine Stimme klang sarkastisch, als er antwortete.
»Tja, Sie nennen es Albtraum. Nun ja, wir haben alle unsere Freuden. Aber Sie haben vollkommen recht. So etwas ist Privatsache. Solange unsere Privatsachen nicht die Ursache dafür sind, dass Proviant verschwindet.«
Carl rannte aus der Kajüte, die Leiter hinauf. An Deck standen die Männer
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