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Rasputins Erbe

Rasputins Erbe

Titel: Rasputins Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norah Wilde
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was sie selbst nicht definieren konnte. Sie schaute ins Nichts, in die Leere. Sie fühlte sich ihrem wahren Ich näher als je zuvor. Erklären konnte sie sich das jedoch nicht.
    Balu richtete sich auf und ging nackt zu dem Wasserkocher auf seinem Schreibtisch, füllte ihn am Waschbecken, das sich in einem der Wandschränke des Büros versteckte und kramte in seiner Teedose. „Grün oder schwarz?“, fragte er.
    Während Balu den Tee zubereitete, schaute sich Julia in seinem Büro um. Es war spartanisch eingerichtet. Trotzdem gemütlich, fand sie. An der Wand gegenüber, vor seinem Schreibtisch, hing ein kleines, quadratisches und äußerst kitschiges Poster, auf dem stand: „Unser erster Gedanke an jedem Morgen sollte der Wunsch sein, den Tag dem Wohlergehen aller zu widmen.“ Darunter stand ein ihr unbekannter Name. Julia dachte folgerichtig, dass es sich dabei um den Urheber des Zitats handelte.
    War dieses Zitat der Grund dafür, dass Balu Julia bereits mehrfach in den siebten Himmel gebumst hatte, ohne dafür eine Gegenleistung, einen Blowjob oder sonst etwas zu verlangen? Tat er es aus Nächstenliebe? Trug Julia ihre gelegentliche Wollust so offensichtlich zur Schau? War sie so leicht zu durchschauen?
    Balu reichte ihr den heißen Tee (sie hatte sich für „Grün!“ entschieden) und setzte sich wieder zu ihr. Sie war endlich entspannt und das, obwohl sie sich selbst davon abgehalten hatte, einen voraussichtlich bombastischen Orgasmus mit Balu zu erleben. Obwohl sie von einer Verrückten bedroht wurde. Obwohl sie kurz davor war, arbeitslos zu werden.
    Es war Balus Ausstrahlung, die sie entspannte. Das verstand sie endlich. Sie war gar nicht unbedingt wegen dem Sex zu ihm gekommen. Er gab ihr das Gefühl, frei zu sein. Balu nippte an seinem Tee und nickte ihr zu. Er schien zu wissen, was sie dachte. Sie hatte es endlich verstanden.
    Sie schwiegen, während sie sich am Tee wärmten. Schließlich sagte Balu: „Es klingt heutzutage aufgeblasen und vielleicht sogar lächerlich, aber wenigstens ein uralter Spruch hat auch im 21. Jahrhundert noch seine Gültigkeit: Folge deinem Herzen. Du willst diesen Mann. Dann stell dich deiner Angst. Beweg' dich endlich aus deiner Komfortzone heraus.“
    Julia hatte das Gefühl, dass sie gerade Nachhilfeunterricht in Philosophie bekam und sie war froh darüber. Balu hatte Recht, sie musste sich ihren Problemen stellen, anstatt zu hoffen, dass sie sich von allein lösten.
    Eines machte sie jedoch stutzig, also fragte sie nach: „Wie kommst du bloß auf solche Sachen?“
    Balu lachte. „Die klugen Sprüche habe ich von meiner Mutter gelernt. Sie weiß in so ziemlich jeder Situation, welche ihrer über die Jahre gesammelten Weisheiten am besten passt. Ich befürchte, sie hat mich damit angesteckt.“
    Julia versuchte sich die Mutter dieses außergewöhnlichen, jungen Mannes vorzustellen, aber es gelang ihr nicht.
    „Außerdem“, fügte Balu nachdenklich hinzu, „ist es mein Job. Yogalehrer zu sein bedeutet nicht nur, dass man sexuell vernachlässigten – entschuldige bitte! - Frauen körperliche Verrenkungen zeigt. Beim Yoga geht es tatsächlich darum, die eigenen Grenzen kennenzulernen und bei Bedarf zu überschreiten. Yogaschüler sind Grenzgänger. Die wenigsten wissen das. Es interessiert kaum jemanden, was eigentlich dahinter steckt. Vor ein paar Jahren kamen die Leute beim Frühstücksfernsehen vermutlich auf die Idee, mal etwas Anderes als Aerobic zu zeigen und da wurde der Yogatrend geboren. Ich will mich natürlich nicht beklagen,“ fügte er hinzu.
    Er wusste nicht genau, was sie ursprünglich zu ihm in sein Yogastudio geführt hatte, aber er hatte den Verdacht, dass auch Julia gerade zum ersten Mal überhaupt über Yoga nachdachte. Er sah in ihren Augen ein Glitzern. Es konnten Tränen sein oder auch nicht. Jedenfalls sah er, dass sie sich verändert hatte. Er wollte sie jedoch nicht überfordern und verschwieg ihr daher, dass sogar die Farbe ihre Aura von einem matschigen Braunton in ein leuchtendes Rot gewechselt hatte.
    Julia fiel plötzlich ein, dass sie noch einiges an Arbeit vor sich hatte und stand wie von der Tarantel gestochen auf, um auf dem Computer nachzuschauen, wie spät es war. Balu war ebenfalls wieder aufgestanden und wühlte erneut in seiner Teebox. Julia erschrak, nachdem sie den Computer wieder hochgefahren hatte, denn die kleinen Digitalziffern zeigten bereits 21:40 Uhr an. „Danke, Balu, aber ich muss jetzt nach Hause. Für einen zweiten

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