Rasputins Erbe
„Hunde, die bellen, beißen nicht.“ Aber galt diese Bauernregel auch für Menschen? Julia verstand einfach nicht, warum Alexej das offensichtliche Problem ignorierte. Den Klaps auf den Po, den Annabelle bei ihrem ersten Date (oder war es eben doch nur ein Meeting gewesen?) von Alexej bekommen hatte, konnte Julia ebenfalls nicht vergessen.
Ging man so mit seiner Sekretärin um? Annabelle beteuerte, dass sie mit Alexej zusammen sei. Julia konnte sich das einfach nicht vorstellen, denn so abgebrüht war niemand. Alexej war, wenn man ihn ein wenig näher kennenlernte, ein wirklich netter Typ. Julia traute ihm nicht zu, dass er Annabelle derart verarschen würde.
Sie entschied, dass sie bald mit ihm darüber reden würde. Sie wollte, dass Klartext gesprochen wurde. Sie wollte endlich die Wahrheit wissen.
Julia starrte aus dem Fenster, das trotz der immensen Größe nur wenig Licht in das Zimmer ließ. Draußen war es düster und ungemütlich. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte Julia gar keine wirkliche Lust auf ihre Mittagspause, die sie traditionell draußen verbrachte.
Sie hatte noch einige Emails zu verschicken. Julia musste sich um viel mehr administrative Dinge kümmern als früher. Das gehöre zum Chefposten dazu, meinte Peer. Julia fand es langweilig, aber sie hatte keine Wahl.
Es klopfte, als sie gerade eine Email an einen der Copywriter schrieb.
Obwohl Julia nur wenige Minuten an ihrem Computer gesessen hatte, war sie erleichtert, dass sie jemand bei der Arbeit störte. Ihr war jeder Anlass recht, um nicht vor dem blöden Ding zu sitzen.
„Herein!“, rief sie und lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück. Julia rechnete mit Deniz, aber es war Katarina, die ihr freundlich zunickte und die Tür hinter sich schloss.
„Hör mal, Julia. Ich möchte gleich zur Sache kommen. Keine Angst! Das Projekt steht. Deshalb bin ich nicht hier“, beschwichtigte sie. Julia war bereits auf die äußerste Kante ihres Stuhls gerutscht und dachte voller Panik, dass man sich doch noch umentschieden hatte.
„Es geht um Alexej. Ich weiß natürlich, das etwas zwischen euch läuft. Wir sind zwar geschieden, aber wir verstehen uns doch ganz gut. Vielleicht sogar besser als früher, wer weiß. Naja, was ich sagen wollte: Du musst dich in Acht nehmen.“ Katarina lächelte nicht mehr, sondern guckte ernst. Julia fühlte sich bemuttert und antwortete eine Spur patziger, als sie es sich in ihrer Situation erlauben durfte: „Mit so einer Verrückten wie Annabelle komme ich schon klar!“
Katarina schüttelte energisch den Kopf.
„Ich meine nicht Annabelle. Ich meine Alexej. Du hast gesehen, was er mit Annabelle angestellt hat. Sie liebt ihn, weißt du. Aber ihn interessiert das nicht. Er hatte eine kurze Affäre mit ihr“, begann sie.
„Also stimmt es doch!“, sagte Julia empört. Sie sprach mehr zu sich selbst als zu Katarina, die sich mittlerweile auf der Schreibtischkante niedergelassen hatte.
„Julia, das ist ungefähr zwei Jahre her. Seitdem ist da nichts gelaufen. Annabelle ist einfach nicht fähig, sich von ihm zu lösen. Und glaub mir, das kann ich besser nachvollziehen als alle seine Gespielinnen zusammengenommen: Er macht es einem nicht einfach. Du musst aufpassen.“
Julia sagte nichts. Sie musste das erst einmal verdauen. Immerhin bestätigte Katarina gerade, dass Annabelle verrückt war. Warum sonst würde Annabelle davon reden, dass sie mit Alexej zusammen war, dachte Julia.
„Julia, du lässt dich auf ein gefährliches Spiel ein. Du kennst Alexej nicht so, wie ich ihn kenne“, setzte Katarina unbeirrt fort.
„Warum erzählst du mir das alles?“, fragte Julia nun.
„Eigentlich wollte ich mich da raushalten, aber als ich deinen Blick vorhin in Peers Büro gesehen habe, wusste ich, dass du Alexej und nicht mich erwartet hattest. Er hat dich verzaubert, nicht wahr?“
Julia runzelte die Stirn und war erstaunt, was ein einziger Scotch bei manchen Menschen anrichten konnte.
„Verzaubert? Du hörst dich so an, als würdest du das wörtlich meinen“, sagte Julia spöttisch. Sie war verärgert, dass sich ausgerechnet Alexejs Ex-Frau in ihre Beziehung einmischte.
Katarina schien sich die passenden Worte zusammenzulegen, denn sie antwortete nicht sofort. Schließlich schüttelte sie erneut den Kopf und als sie Julia in die Augen schaute, lächelte sie wieder.
„Vergiss es einfach. Es war dumm von mir. Eure Beziehung geht mich nichts an. Ursprünglich wollte ich dir bloß das hier vorbeibringen“,
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