Rasputins Erbe
bequemen Stuhl im Foyer interessiert beobachtet hatte.
Julia schaute zu ihm herüber und schüttelte den Kopf: „Nein, danke schön. Es ist alles in Ordnung.“ Sie war völlig aus der Puste. Als sie den Aufzug nach oben wieder betreten hatte, kam sie sich blöd vor. Hatte sie wirklich vorgehabt, Katarina nach einem verzauberten Ring zu fragen? Julia überlegte, ob sie vielleicht wirklich Urlaub brauchte. Sie entschied, dass sie sich nicht verrückt machen wollte. Es ist bloß ein gewöhnlicher Ring, dachte sie.
Aber das mulmige Gefühl blieb.
Oben angekommen wurde Julia von einer kleinen Menschentraube empfangen und ihr wurde schlagartig bewusst, wie groß dieser Auftrag eigentlich war. Und was er für die Zukunft der Firma bedeutete.
Deniz versuchte das zweite Sektglas an Julia loswerden, aber die konzentrierte sich auf Peer, der gerade sein eigenes Glas zum Gruß hob, obwohl er es längst geleert hatte. Julia überlegte einen kurzen Moment, ob Peer vorhatte, seine Minibar zu plündern, denn auch die anderen Anwesenden hielten Drinks in der Hand und strahlten.
Da waren zwei Copywriter, ein weiterer Grafiker, der Deniz in punkto Kreativität bei Weitem nicht das Wasser reichen konnte und sogar das Mädchen vom Empfang. Sarah wirkte etwas verloren zwischen dem eingespielten Team, aber Peer hatte ihr ebenfalls ein Glas Sekt in die Hand gedrückt, woran sie nun zögerlich nippte. Sie befürchtete offenbar, dass es sich um eine Art Test handelte, bei dem sie immer durchfallen würde.
Wenn sie die Einladung zum Trinken annahm, würde sie unseriös wirken. Wenn sie jedoch nicht trank, würde sie einen unfreundlichen Eindruck machen. Sarah steckte in einer emotionalen Zwickmühle. Julia erkannte ihr Dilemma und nahm endlich ihr eigenes Glas aus Deniz' Hand und stieß mit der nervösen Sarah zuerst an. Sie strahlte und machte sich keine Sorgen mehr.
Nachdem sich alle Anwesenden zum erfolgreichen Abschluss des Werbedeals beglückwünscht hatten, klatschte Peer in die Hände und rief: „So, jetzt seht aber zu, dass ihr noch was geschafft bekommt. Gleich habt ihr ja ohnehin Pause, wenn ich das richtig sehe.“
An Julia und Deniz gewandt fügte er hinzu: „Komm doch bitte mal mit in mein Büro. Und du auch, Deniz!“
Peer lächelte zwar, aber Julia wusste trotzdem nicht, was sie davon halten sollte. Deniz wurde ganz klein und trollte sich bereits in Richtung von Peers Büro.
Peer legte seinen Arm auf Julias Schulter und schob sie so ebenfalls in seine Höhle. Die meisten Mitarbeiter der FemediaX GmbH nannten Peers Büro seine „Höhle“, weil er dort regelmäßig seine berüchtigten Nickerchen hielt, wie es sich für eine Fledermaus eben gehörte.
„Setzt euch“, meinte er freundlich und schloss die Tür. Er stellte sein Glas auf seinem chaotischen Schreibtisch ab und setzte sich ebenfalls.
„So, das ist ja nochmal gut gegangen, nicht wahr?“, begann er leise und sein Lächeln verwandelte sich. Sein Gesicht sah maskenhaft aus und überhaupt nicht glücklich.
Deniz schwieg. Julia sagte ebenfalls nichts, denn sie wartete darauf, dass Peer ihnen erklärte, was eigentlich los war.
„Julia, das war wirklich knapp.“ Er redete immer noch keinen Klartext und Julia konnte bloß raten, was er meinte.
Sie antwortete steif: „Ich habe dir bereits erklärt, was letzte Woche vorgefallen ist. Was sollte ich denn tun? Mich für einen Kunden prostituieren?“
Peer reagierte nicht sofort, sein maskenhaftes Gesicht war nicht zu entziffern. Schließlich lehnte er sich in seinem Bürosessel zurück und schaute Julia direkt in die Augen. Er sagte: „Dazu werde ich mich nicht äußern. Ich will mich nicht mit dir streiten. Aber deine Professionalität lässt zu wünschen übrig und das gefällt mir nicht. Das gefällt mir überhaupt nicht.“
Deniz rutschte nervös auf seinem Stuhl herum, denn er befürchtete, ebenfalls eine Abreibung zu erhalten, konnte sich jedoch nicht erklären, wieso.
Julia öffnete den Mund, um ihrerseits einen Streit vom Zaun zu brechen, aber sie besann sich, als sie durch Peers Maske hindurch sah und einen müden, alten Mann erkannte, für den sich die Welt mittlerweile zu schnell vorwärts bewegte. Sie war zwar wütend, aber sie beherrschte sich. Das wiederum wunderte sie selbst, denn in der Vergangenheit hatte sie keine Skrupel gehabt, ihre Meinung offen auszusprechen.
Peer setzte nach: „Ich möchte, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“ Und dann, nach einer kurzen Pause: „Es ist
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