Rasputins Erbe
hatte wirklich gute Laune, als er sich wieder setzte, und Julia übersah an diesem Abend sogar den eigenartigen Ring an seinem Finger, der ihr in den letzten Wochen so viel Kopfzerbrechen bereitet hatte.
Der Verzehr des Desserts war ein Spiel: es ging darum, wer sich länger gedulden konnte. Wer würde den ersten Schritt machen? Wer würde den Versuch wagen, den jeweils anderen in seinen Bann zu ziehen und zu verführen?
Julia fand, dass sie in letzter Zeit viel zu passiv gewesen sei und übernahm daher vorerst die Kontrolle über die Situation. Sie ließ ihr Eis nach einigen Löffeln stehen und stand auf, um Alexej, der ja nur fünfzig Zentimeter entfernt am Tisch saß, zu zeigen, welche Art von Nachtisch ihr noch lieber als Vanilleeis war.
Sie beugte sich zu ihm herunter und küsste ihn. Es war ein eisiger Kuss, denn Julias Lippen und ihre Zunge waren noch kalt vom Nachtisch. Alexej verstand ihre Nachricht und stand ebenfalls auf, seine Augen glühten und Julia wusste, dass sie ihn überzeugt hatte.
Alexej griff in seine Sakkotasche und zog abermals ein seidenes Tuch heraus, mit dem er Julia zärtlich die Augen verband. Er küsste dabei ihren Nacken und sie bekam eine Gänsehaut; sie erschauderte und wand sich in seinem Griff.
Am liebsten hätte Alexej mit einer kraftvollen Bewegung den Esstisch leergefegt und Julia gleich dort an Ort und Stelle vernascht. Aber Alexej war jemand, der sich beherrschen konnte. Außerdem zog er es vor, mit seiner Beute zu spielen.
„Komm mit, ich führe dich“, flüsterte Alexej der vor Aufregung zitternden Julia ins Ohr und sie gehorchte.
Alexej schob Julia vor sich her und sie glaubte, dass sie gleich eine Treppe nach oben gehen würden, denn dort vermutete sie sein Schlafzimmer. Sie war also ziemlich überrascht, als Alexej eine knarzende Holztür öffnete und sie vorwarnte: „Achtung, hier geht es abwärts.“
Julia tastete sich langsam vor und suchte bei jedem Schritt nervös nach der nächsten Stufe. Sie dachte, dass sie nun vielleicht eine Runde schwimmen gehen würden, denn Alexej hatte ja von seinem Pool im Keller erzählt.
Die Wände hallten ihre Schritte wider und Julia spürte einen leichten Luftzug. Es war ein wenig kühler als im Erdgeschoss, aber sie fror dennoch nicht. Sie war außerdem viel zu aufgeregt, um sich auf solche Kleinigkeiten konzentrieren zu können.
„Wir sind gleich da“, sagte Alexej, als Julia die letzte Stufe der langen Steintreppe gemeistert hatte. Alexej führte sie noch knapp zehn Schritte weiter und blieb dann stehen.
Julias Herz raste und sie erschrak, als Alexej ihr plötzlich an einem Arm Handschellen anlegte, die offenbar an der Wand oder einem Gestell fixiert waren. Damit hatte sie eindeutig nicht gerechnet. Sie spürte das kalte Metall an ihrem Handgelenk, es war ganz nach ihrem Geschmack
Ihr Instinkt sagte ihr jedoch, dass sie sich die Augenbinde schnellstmöglich mit der noch freien Hand abreißen musste, damit sie in ihrer Ungewissheit nicht wahnsinnig wurde. Aber bevor sie dazu kam, hatte Alexej auch schon ihren anderen Arm im Griff. Er ließ das zweite Paar Handschellen klickend einrasten und Julia war bewegungsunfähig.
Ihre Arme waren ausgestreckt und ungefähr auf Kopfhöhe an einer Konstruktion aus Holz festgemacht, wie Julia feststellte, als sie spielerisch versuchte, ihre Hände zu befreien. Julia atmete heftig. Ein Traum ging in Erfüllung.
„Du weißt gar nicht, wie lange ich mir das gewünscht habe“, keuchte sie. Alexej schwieg. Julia konnte es nicht sehen, aber er guckte grimmiger als vorher. Er wollte nicht reden, er wollte, nein, er musste handeln.
Julia war froh, dass sie Alexej nach dem Vorfall in der Cocktailbar noch eine weitere Chance gegeben hatte. Sonst hätte sie all das hier verpasst.
Sie konnte es nicht kommen sehen, daher zuckte sie wieder übertrieben zusammen, als Alexej ihr aus heiterem Himmel ein weiteres, ebenfalls sehr weiches Tuch in den Mund steckte. Er band es mit schnellen, geübten Griffen an ihrem Hinterkopf zusammen.
Julia fand es erregend, nicht zu sehen, was Alexej mit ihr anstellte, aber jetzt hatte er ihr die Möglichkeit genommen, ihn im Zweifel in seine Schranken zu verweisen.
Im ersten Moment ging ihr das entschieden zu weit und sie versuchte, das Tuch in ihrem Mund irgendwie loszuwerden. Einige lange Sekunden später jedoch machte ihr auch dieser Teil des Spiels Spaß.
Sie hatte immer noch ihr enges Kostüm an, mit dem sie Alexej hatte bezirzen wollen. Es hatte einen
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