Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
deuteten ein schelmisches Lächeln
an, voller Trotz.
»Und? Waren
Sie’s?« Pohlmann hob einen Mundwinkel an. Er gab sich keine Mühe, den Sarkasmus
im Zaum zu halten.
Emilie Braun
zuckte unter der Decke mit ihren knochigen Schultern. »Schätze, das herauszufinden,
ist Ihr Job.«
»Okay, dann
werd ich das hier jetzt mitnehmen müssen.« Wieder hob Pohlmann das Buch in die Höhe
und wandte sich zum Gehen um. »Weglaufen werden Sie mir ja wohl nicht, oder?«
Emilie schürzte
die faltigen Lippen.
Pohlmann
verließ das Krankenzimmer und atmete schwer. Die Enge in diesen Mauern machte ihm
zu schaffen, und er war froh, sie bald hinter sich lassen zu können. Er drehte sich
zu Schwester Kaschewitz um. »Was hat sie eigentlich? Ich meine, weshalb ist sie
hier? Sie ist doch gar nicht so …« Pohlmann drehte seinen Zeigefinger vor der Schläfe
wie an einer Kurbel.
»So bekloppt?«,
ergänzte die Schwester grinsend. »Nee, na ja, wie man’s nimmt. Ich meine, wer ist
schon normal, aber Emmi ist schon eine besondere Marke. Lebt schon ihr halbes«,
sie winkte ab, »ach, was sag ich, ihr ganzes Leben hier.« Pohlmann sah sie fragend
an und wartete ab. Irgendeine weitere Erklärung würde wohl noch kommen.
»Emmi ist
mehr oder weniger freiwillig hier. Hat sich vor zig Jahren quasi selbst eingeliefert.«
Pohlmann schien verwundert, eher verärgert. »Und das geht so einfach? Kost und Logis
frei, auf Staatskosten?«
»Na ja,
ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Sie hat einige missglückte Suizidversuche
hinter sich und noch ein paar andere Sachen. Es gab da mal ein ausführliches Gutachten
von dem Professor. Ich könnte Ihnen die ganze Geschichte mit Emmi erzählen, wenn
Sie wollen.«
Die Stimme
der attraktiven Pflegerin hatte zwar etwas sehr Einladendes und der Gedanke an einen
starken Kaffee im Schwesternzimmer war auch verlockend, und doch – Pohlmann sah
an sich herab. »Nein, danke, heute nicht.« Pohlmann lugte auf das Schild und grinste
verstohlen. »Was heißt das A eigentlich?«
»Annegret.«
Pohlmann
nickte.
»Finden
Sie den Weg allein nach draußen?«
Pohlmann
nickte wieder.
»Gut. Ach,
übrigens. Wir haben hier einen Patienten mit einer etwas ungewöhnlichen Marotte.
Alle nennen ihn Paule. Eigentlich heißt er Paul Szygrinski, aber hier reicht Paule.
Man kann sich schon ganz schön über ihn erschrecken, wenn man nicht Bescheid weiß.«
Annegret
winkte ab. »Aber, nein, ich glaub, er ist in seinem Zimmer. Bin mir allerdings nicht
ganz sicher. Egal, Sie schaffen das schon. Im Grunde ist er harmlos.« Dann verschwand
sie und ließ Martin seines Weges gehen.
Der Beamte
bewegte sich langsamen Schrittes und mit rasendem Puls auf den Ausgang zu. Wieder
waren seine Sinne geschärft, als durchstreife er den Busch, der hinter seinem ehemaligen
Hotel in Ecuador lag, doch hier in Hamburg gab es keinen Dschungel, in dem man sich
mit Macheten den Weg bahnen musste. Hier gab es andere Unwegsamkeiten, die nicht
minder tückisch waren und einem nach dem Leben trachteten. Im Augenblick reichte
es ihm völlig, sich auf der Suche nach einem Paule panisch nach allen Seiten umzusehen.
Kapitel 7
Steinhöring, 19. August 1944
Man möge sich fragen, aus welchem
Grund an jenem Montagvormittag ein hochrangiger Angehöriger der deutschen Wehrmacht
ausgerechnet über ein einzelnes Kind düstere Gedanken anstellte. Immerhin wütete
der Krieg bereits im fünften Jahr. Jedermann im ganzen Land verfolgte aufmerksam
die Bestrebungen der Deutschen, sich die Welt untertan zu machen, und dieser junge
Mann hatte nichts anderes im Sinn, als einem vierjährigen Mädchen zu einer neuen
Identität zu verhelfen, sie außerhalb des Kontrollbereichs des Reichsführers SS
zu schaffen und alle Spuren auf ihn, den Vater, tunlichst zu verwischen.
An diesem Tag fuhr Gerhard Strocka
den Wagen selbst. Dem Chauffeur hatte er freigegeben. Einerseits war es ein Genuss,
den Opel Kapitän zu steuern, doch unbeschwerte Freude darüber, im Besitz eines derart
eleganten Automobils zu sein, wollte nicht aufkommen. Eine weitere schicksalsträchtige
Begegnung wartete auf ihn. Er empfand Ärger über die aktuellen Entwicklungen und
auch das unbestimmte Gefühl von Angst gesellte sich dazu. Die Zeugung, die er im
Interesse des Führers vollzogen hatte, begann ihn zu belasten und ihm unter Umständen
zu schaden. Strocka drückte die Schulterblätter nach hinten durch und räusperte
sich. Er schritt die Stufen zum Kinderheim mit Eile empor. Der
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