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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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Mädchens
besaß.
    Schnell
setzte sie nach. »Ja, es stimmt. Was soll ich machen? Ich mag sie und sie vertraut
mir. Bitte, Herr Doktor. Sie sind doch ein guter Mensch.«
    Dr. Reuter
war seinerzeit Arzt aus Leidenschaft geworden, selbst wenn zu Kriegszeiten gewaltige
Abstriche in ethischen Fragen gemacht werden mussten. Doch dieses Bitten und Drängen
um das Kind rührte ihn. Ein Teil seines Herzens war menschlich geblieben, und er
dachte sich: Was kann schon passieren? Schwester Hildegard würde mit einem Kind,
dessen neuen Namen sie am nächsten Tage erfahren würden, von Bayern nach Niedersachsen
reisen. Niemand würde argwöhnen, dass etwas daran nicht in Ordnung war. Weder im
Zug noch an anderen Kontrollposten. Reuter wandte sich von der Schwester ab und
ging in seinem Büro auf und ab. Er hatte keine Zeit, lange über diese Sache nachzudenken.
Es galt nun, schnell und zugleich richtig zu entscheiden, und diese Entscheidung
musste aus dem Gefühl und nicht aus der Vernunft heraus getroffen werden.
    Schließlich
willigte er ein. Die Tragweite dieser Entscheidung war ihm in diesem Moment nicht
bewusst. »Also schön. Sie genießen mein Vertrauen, Schwester Hildegard. Nehmen Sie
sie mit, aber ich möchte in regelmäßigen Abständen von Ihnen erfahren, wie sich
das Kind entwickelt.«
    Hildegard
nickte. Ihre Augen strahlten über diesen kleinen Sieg, in einem Krieg, in dem Millionen
umkamen, wenigstens ein Kind retten zu können. Hedi würde bei ihr bleiben können,
wenigstens für eine gewisse Zeit.
     
    In diesen Zeiten wusste niemand,
ob der Tag, an dem man noch die warme Sommersonne genoss, nicht der letzte sein
könnte. Doch es galt nur, für den jeweiligen Tag Sorge zu tragen und nicht für den
nächsten, für eine ganze Woche oder einen Monat. Niemand kannte seine eigene Zukunft,
geschweige denn den Zeitpunkt und die Art seines Todes. Im Hinblick auf das, was
Schwester Hildegard zu erwarten hatte, war dies auch gut so, denn niemals hätte
sie geahnt, dass sie die Jahreszeit, in der das Laub die Bäume verließ, nicht mehr
erleben würde.

Kapitel 6
     
    Hamburg-Norderstedt, 2. November
2010
     
    Pohlmann durchschritt verschiedene
Türen, die eigens für ihn geöffnet wurden. Übertrieben oft blickte er sich in alle
Richtungen um, während er langsamen Schrittes vorwärts ging. Er wusste nicht genau,
wovon oder durch wen er sich bedroht fühlte, doch seine Sinne waren geschärft. Ihm
war, als ruhten tausend unsichtbare Augen auf ihm, auf jeder seiner Bewegungen und
würden spöttisch und verhöhnend auf ihn herabblicken.
    Die Flure,
die er beschritt, sahen im Wesentlichen gleich aus, bis auf die Menschen, die sie
bevölkerten. An den bilderlosen, gelblich gestrichenen Wänden gab es nichts, worauf
das Auge verweilen mochte, nichts, das dem Betrachter Freude vermittelt hätte wie
ein beruhigendes Landschaftsbild oder dergleichen. In Hüfthöhe waren kalte metallene
Haltestangen angebracht, an denen man sich, je nach entsprechend entspannender Medikation,
entlanghangeln konnte. Alle Kanten des Geländers waren abgerundet und schmeichelten
der Haut. Nichts, woran man sich hätte stoßen oder die Adern aufritzen können. Die
Neonröhren schlossen bündig mit der Decke ab und gaben ein gleichmäßig milchiges
Licht ab. Der grau melierte Linoleumboden knatschte bei jedem Schritt unter Pohlmanns
Turnschuhen, und er erregte eine gewisse Aufmerksamkeit unter den Bewohnern. Menschen
in herkömmlicher, vielleicht nicht gerade der allgemeinen Mode angepasster Kleidung
oder in Bademänteln schlurften an ihm vorbei und taxierten die ihnen fremde Erscheinung.
Sie wirkten ungepflegt mit fettigen, teils zerzausten oder plattgelegenen Haaren
– diesbezüglich passte er sich an diesem Tag seinem Umfeld perfekt an. Die Patienten
lächelten und entblößten ihre kariösen oder fehlenden Zähne, als sie die schrill
gelben und orangefarbenen Blumen auf seinem Hemd Marke Pazifik Flower musterten.
Ihr Lächeln beruhigte ihn, lächelnde Menschen griffen niemanden an, hoffte er.
    Als er die
Abteilung, die er auf dem Briefkopf des Dokumentes gelesen hatte, erreicht hatte,
schritt er zügigen Schrittes auf die erstbeste Pflegerin zu, die ihm entgegenkam.
Er starrte auf das Schildchen, das am Kittelrevers über dem linken – wie Pohlmann
fand – stattlichen Busen angebracht war, und las ›A. Kaschewitz‹.
    »Hallo!
Kripo Hamburg. Mein Name ist Pohlmann.« Martin hörte seine eigenen Worte, wie sie
leicht und locker über die Lippen

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