Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
anderes dort tun als zu lesen.
Es gab einen Ohrensessel mit rot-grün gestreiftem Bezug, in den sie sich setzte
und ein Buch nach dem anderen verschlang. Keine Neuerscheinung ging an ihr vorbei.
Sie machte sich einen Spaß daraus, hinter der Theke zu stehen und Kunden zu beraten.
Sie zitierte frei aus dem jeweiligen Buch, für das sich die Kunden interessierten,
und ließ die Besucher staunend mit einem Buch in der Tüte den Laden verlassen.
Sie erblickte
Martin und Catharine, die regelmäßig ein Auge auf sie hatten, um festzustellen,
dass sie mühelos und in kurzer Zeit nachholte, was Jahrzehnte an ihrem vergitterten
Fenster vorübergezogen war.
Sie umarmte
Catharine, ihre Hildegard, wie sie sie nannte, jedes Mal, wenn sie sie sah. Möglicherweise
nur ein Spaß oder ein Rest ihrer ungefährlichen Fantasievorstellungen. Auch bezüglich
des Umarmens verspürte sie Nachholbedarf, doch bei Weitem nicht bei jedem. Martin
gab sie die Hand und machte eine angedeutete Umarmung, wie sie es im Fernsehen bei
Franzosen gesehen hatte. Wissend lächelte sie ihn an. Ihre geschminkten Lippen wurden
von gepuderten Fältchen umspielt, und die Freude am Leben und nicht am Sterben war
ihr deutlich anzumerken.
Sie setzte
sich, rückte die Brille, an die sie sich noch gewöhnen musste, zurecht und schrieb
ihren Freunden eine sehr persönliche Widmung auf das Vorsatzblatt.
Mit dem
Buch als Geschenk verließen Martin und Catharine den Laden und winkten ihr einen
letzten Gruß zu.
Martins
Verlobte hatte sich unter seinem Arm eingehakt, und als sie die Straße überquerten,
um den Rückweg anzutreten, klingelte das Handy in seiner Hosentasche. Er klappte
es auf und erkannte die Nummer. Es war eine Nummer, die für ihn nicht die Gefahr
eines Einsatzes darstellte, nicht mehr, nachdem er sich von Klaus Schöller nach
Lüneburg hatte versetzen lassen. Die Suspendierung war aufgehoben worden. Schöller
hatte dem Ansinnen Pohlmanns nach einem Ortswechsel gern entsprochen. Er war froh,
ihn aus seinem Dunstkreis entfernen zu können.
Martin nahm
das Gespräch nach dem dritten Klingeln an.
»Hi, Werner.
Alles klar?«
»Ich wünschte,
es wär so. Der Nachmittag ist hinüber, und deiner wird es auch gleich sein.«
»Ich wüsste
nicht, was mir diesen herrlichen Tag vermiesen könnte.«
»Eine Leiche
vielleicht?«
»Nur, wenn
es eine Lüneburger Leiche ist, und die gibt es hier ausgesprochen selten, außer
denen, die eines natürlichen Todes gestorben sind.«
»Es ist
die Leiche eines Hamburgers. Genau genommen, eine Wasserleiche in der Außenalster.
Ein Jogger.«
»Tja. Pech
für dich, mein Lieber. Klaus hat mich, wie du weißt, nach Lüneburg versetzt, und
es konnte mir nichts Besseres passieren. Hab mich noch gar nicht bei ihm dafür bedankt.«
Martin blickte in die lächelnden Augen Catharines und gab ihr einen flüchtigen Kuss
auf die Wange.
»Genau das
ist das Problem. Du wirst ihm nicht mehr danken können.« Martin verengte die Augen
unter den buschigen Brauen. Noch hätte er Zeit gehabt, die Stopp-Taste zu drücken.
Er könnte einfach weitergehen, seinen Termin beim Friseur wahrnehmen und in das
glückliche Gesicht seiner Catharine schauen. Er tat es nicht, weil er wusste, dass
Werner im nächsten Moment zurückrufen würde. Stattdessen lauschte er den Worten,
die ihm den Tag ruinieren sollten.
»Es ist
Klaus Schöller, den wir gefunden haben, und eines ist sicher: Er ist nicht freiwillig
baden gegangen.«
Martin klappte
das Handy zu und ein Fluch, für den er sich im nächsten Moment bei Catharine entschuldigte,
hallte durch die Altstadtgasse.
Nachwort des Autors
Selten sprechen Texte aus Geschichtsbüchern
den Leser emotional an. Bisweilen langweilen sie ihn sogar.
Als ich
vor über 35 Jahren von Lebensbornheimen im Geschichtsunterricht hörte, konnte ich
nicht viel damit anfangen. Kriegsgeschehnisse waren für mich unendlich weit weg,
bis zu dem Zeitpunkt, als ich 2005 zu einem anderen Roman recherchierte und mich
dieses Thema ansprang. Es hat fünf Jahre lang in meinem Hinterkopf geschlummert,
bis ich mich endlich aufmachte, darüber zu schreiben.
Das Thema
Lebensborn wird in der Literatur kontrovers dargestellt. Ich war bemüht, die tatsächlichen
Sachverhalte so objektiv wie möglich wiederzugeben.
Natürlich möchte ich in erster Linie
mit meinen Büchern Ihnen, dem Leser, spannende Unterhaltung bieten. Darüber hinaus
ist es mir ein Bedürfnis, manche Ereignisse und Geschehnisse der Vergangenheit nicht
in
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