Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
verabschiedete sich mit einem »Heil Hitler«. Der
Doktor hob die Hand zum Gruß und wischte sich nun erstmals den Schweiß von der Stirn.
Als Strocka
außer Sicht- und Hörweite war, suchte Reuter das Schwesternzimmer auf. Er klopfte
und Schwester Hildegard erschien in der Tür. Sie trocknete die Hände an einem Handtuch
und sah in die geröteten Augen des Arztes. Sogleich schob er die Schwester beiseite
und trat ein. »Ihr wahnwitziger Plan könnte uns Kopf und Kragen kosten. Strocka
war gerade noch einmal da.«
Hildegard
sah ihn bestürzt an.
»Ja, ich
weiß, er wollte eigentlich einen Adjutanten schicken oder sonst wen, aber er hat
die neuen Papiere von Hedwig selbst vorbeigebracht. Dieser Mann ist gefährlich,
Hildegard. Sind Sie sich darüber im Klaren?« Die Schwester stand wie versteinert
da. Sie nickte kaum merklich. »Hat er was gemerkt? Was haben Sie ihm erzählt? Kommt
er noch mal wieder?«
»Beruhigen
Sie sich. Ich glaube nicht, dass er noch einmal vorbeischaut. Er hasst dieses Mädchen
und wird es vermeiden, ihm noch einmal über den Weg zu laufen. Ich kann nur nicht
verstehen, warum es ihm so wichtig ist, dass seine Vaterschaft um jeden Preis verheimlicht
wird. Ich denke, er hat eine Menge zu verlieren, käme es denn heraus.«
»Mein Zug
geht morgen in aller Frühe, und Hedwig wird mit mir kommen. Niemand wird etwas merken,
dafür verbürge ich mich.« Reuter nickte. Er beruhigte sich langsam wieder.
»Vergessen
Sie den Namen Hedwig Strocka. Ein für alle Mal. Üben Sie den neuen Namen aus diesem
Dossier mehrfach ein. Heute noch. Gehen Sie auf Ihr Zimmer. Packen Sie Ihre Sachen
und die des Kindes und sprechen Sie 50 Mal den neuen Namen aus, damit er Ihnen geläufig
wird.« Reuter deutete mehrfach auf den Umschlag. »Für das Kind wird es wie ein Spiel
sein. Sagen Sie ihr ihren neuen Namen und sie solle ihren alten Namen, nur so zum
Spiel, vergessen und ihn nie wieder sagen. Sie ist noch ein kleines Mädchen. Sie
wird mitspielen.«
*
Der nächste Tag war für die kleine
Hedwig Strocka viel mehr als ein Spiel. Nicht nur, dass sie kurz nach Sonnenaufgang
aus ihrer gewohnten Umgebung gerissen wurde, nein, sie sollte ab diesem Tage anders
heißen. Das erschien ihr mehr als sonderbar. Die Schwester hatte sie immer Hedi
genannt, nun bekam sie einen Spitznamen, der dem alten vom Klang her ein wenig ähnelte,
jedoch mit einer gänzlich neuen Identität verbunden war. Sie nahm es mit Gleichmut
hin und sprach nicht über die Dinge, die ihr widerfuhren.
Der Zugschaffner
betrachtete die Papiere der beiden eingehend, doch er sah keinen Anlass, an deren
Richtigkeit zu zweifeln. Ein Kind und eine Krankenschwester auf dem Weg nach Bremen.
Daran war nichts Ungewöhnliches. Erst recht nicht in Kriegszeiten, in denen Kinder
ihre Eltern verloren und von Verwandten oder Freunden aufgezogen wurden. Die Fahrt
dauerte elf Stunden. Gegen Nachmittag erreichten die beiden ihr Ziel.
Sie kamen
an einen Ort, an dem beide nicht für lange Zeit verbleiben würden.
Kapitel 8
Hamburg, 2. November 2010
Pohlmann begann, sich mühsam in
seiner neuen alten Welt zurechtzufinden. Aus dem Exil zurückgekehrt, fand er die
Dinge in seiner Eigentumswohnung wieder genauso vor, wie er sie zurückgelassen hatte.
Eigentlich hatte er damals erwogen, sie für die Zeit seiner Abwesenheit zu vermieten,
doch er zog es vor, so schnell wie möglich Hamburg zu verlassen. Außerdem, wie hätte
er die Vermietungsangelegenheiten von Ecuador aus regeln sollen. Vieles hätte sich
sicherlich per E-Mail oder mittels Fax bewerkstelligen lassen, doch falls seine
Anwesenheit vonnöten gewesen wäre, wäre der Ärger größer als der Gewinn gewesen.
Er hätte sie auch verkaufen können, doch an Geld war ihm nicht gelegen. Er brauchte
andere Dinge nötiger als Geld. Ohne zu wissen, wann er an diesen Ort zurückkommen
würde, hatte er die Wohnung behalten. Es gab da eine feine innere Stimme, die ihn
beraten hatte.
Berge von
unerwünschten Postwurfsendungen, Rechnungen und Mahnungen hatte er in einem Müllsack
entsorgt. Noch immer konnte er sich nicht erinnern, was er mit seinem Schlüsselbund
angestellt hatte, als er in Ecuador angekommen, sich verliebt und eine neue Existenz
aufgebaut hatte.
Nachdem
er die wichtigsten Einkäufe für die Küche erledigt und eingeräumt hatte, schritt
er durch die 100 Quadratmeter seines ausgekühlten Hamburger Penthouses und erforschte
seine Gefühle. Fand er in seinem Inneren ein heimeliges Empfinden, so
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