Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
warum. Weil keiner diesen Fall haben wollte oder ihn auf die Reihe kriegt.«
Pohlmann leerte die dritte Dose und starrte auf die Tapete in seinem Wohnzimmer.
Er wusste nicht, was ihn mehr anödete, die Tapete, die ein weiblicher Geschmack
ausgesucht hatte, die Erinnerung an den letzten Monat in Ecuador oder das verstörende
Erlebnis in der Anstalt. Irgendetwas musste in seinem Leben passieren, doch was
dies sein sollte, entzog sich seiner Kenntnis.
»Denkst
du, dass du nach deinem Burn-out wieder fit bist? Hast du die Dinge von damals verarbeitet?«
Martin sah Werner an und stellte fest, dass alte Bande geknüpft wurden.
»Der Psychiater,
an den mich Professor Keller überwiesen hatte, hat mir ein Buch mit auf die Reise
gegeben. Positives Denken, Selbstfindung und diese Dinge, aber ich schätze, das
ist nichts für mich gewesen. Mal weg zu sein, ich meine, ganz weg, hat schon ziemlich
gutgetan.«
Martin klopfte
Werner auf die Schulter. »Ach, was soll’s. Es geht mir ganz gut. Nur dass ich gleich
am ersten Tag von Lorenz ins LKH geschickt wurde, war ein bisschen viel. Ob ich
diesen Psychofall wirklich übernehme?« Pohlmann schaute sich im Raum um. »Ich glaube
nicht, dass ich das tun werde, nach all dem.« Martin gähnte herzhaft und seine Augen
tränten. »Mensch, ich hab den ganzen Abend nur von mir erzählt. Wie geht es dir
denn und den Kindern?«
Auf Werners
Stirn bildeten sich tiefe Sorgenfalten.
»Es geht
so. Ich hab Stress mit Susanne. Ich kann es ihr mit nichts recht machen. Kaum komme
ich heim, ist sie am Zetern. Ich sei zu selten zu Hause, würde mich nicht genug
mit den Kids beschäftigen, würde ihr die ganze Erziehung überlassen, würde dies
nicht tun und jenes lassen. Eigentlich hätten wir heute Abend einen Termin bei der
Eheberatung gehabt.«
»Oh, verdammt.
Und den hast du meinetwegen abgeblasen?«
Werner nickte.
»Das ist auch der Grund, warum ich so oft laufen gehe. Die Anmeldung zum Marathon.
Ich bin froh, wenn ich beim Joggen meine Ruhe habe.«
»Auch bei
diesem Wetter?«, fragte Martin ungläubig.
»Kein Problem.
Alles nur eine Frage der Klamotten.« Dann stand Werner auf. »Du, ich glaub, ich
geh jetzt besser, sonst muss ich heute Nacht wieder im Wohnzimmer schlafen.«
Martin brachte
Werner gegen 22 Uhr zur Tür und fragte sich, wer es schlechter getroffen hatte –
sein Freund Werner oder er selbst.
*
Gegen 22.30 Uhr saß Martin auf der
Bettkante und betrachtete die abgegriffene Kladde von Emilie Braun, die sie stolz ihr Buch nannte. Er gähnte zwei Mal herzhaft und schlug sie im vorderen Drittel
an einer beliebigen Stelle auf. Obwohl er nicht mehr ganz nüchtern war, erregten
die Worte, die er las, in ihm eine Ahnung, dass dies ein komplizierter Fall werden
würde.
Dunkelheit
umgibt mein Flehen
Tränen greifen
nach dem Stift
Zu schreiben
meine Pein,
Auf meine
Haut von innen her
Damit sie
reden und doch schweigen
Für mich
allein und sonst keinen.
Schatten
rufen nach mir ständig
Nennen mich
beim Namen
Lachen mich
aus und verhöhnen
mein Leben
das keines ist
Und warten
auf mein Ende
Das sie
kaum erwarten können
Mir ist
nach Schreien ohne Ton
Flüstern
schon zu laut
Nach dem
Hören käm der Tod
Durch die,
die mich hier fänden
Anders bin
ich als die andern
Die sie
dulden, nur nicht mich
Martin ließ sich zur Seite auf das
Bett fallen, schlang die wärmende Decke über seinen Körper und schaltete das Licht
aus.
Anders bin
ich als die andern, die sie dulden, nur nicht mich.
Wie oft
sich diese Worte in seinem Bewusstsein wiederholten und dort einbrannten, konnte
er nicht zählen, doch es reichte aus, um ihm eine unruhige Nacht zu bescheren, aus
der er schnell wieder erwachen wollte.
Kapitel 9
Bayern, 19. August 1944
An einem windigen Abend, an dem
die Zweige der Buchen und Kastanien wie dünne Weizenähren hin und her gebogen wurden
und ihre Blätter lange vor der Zeit abwarfen, trafen sich drei hochrangige Offiziere
in einer Gaststätte, zwischen München und Steinhöring gelegen. Das Hotel Hölzerbräu
in der Sieghartstraße lag nur 30 Kilometer von München entfernt und garantierte
in diesem idyllischen Ort nahe dem Waldrand eine Zusammenkunft, in der Diskretion
garantiert sein würde.
Hauptsturmführer
Gerhard Strocka betrat als Erster die Bierstube des Hauses, trat auf der Schwelle
die schwarzen Stiefel ab und wurde von dem kahlköpfigen Wirt mit einem furchtsamen
»Heil Hitler« begrüßt. Strocka nahm die Schirmmütze
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