Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
und mich nicht allein lassen wollte.
Wem also würde es nützen, wenn er im Gefängnis säße und nicht bei uns wäre. Überall
stand was in den Zeitungen, und im Fernsehen brachten sie es. Bilder von uns und
dem Richter und dem Nazi. Trotzdem ist keiner gekommen und hat Hans abgeholt. Er
hat auf sie gewartet, aber sie sind nicht gekommen.« Emmi legte die Hände auf die
Knie.
Pohlmann
rutschte auf dem Holzstuhl hin und her. Er war unruhig, weil die Unterhaltung oder
das Verhör oder wie man es nennen wollte eine sonderbare Richtung annahm und weil
ihn außerdem dringend nach einer Zigarette verlangte. »Frau Braun. Wen meinen Sie
mit uns allein lassen ?«
»Na, uns
hier. Mich, die Liza, den Paule und so. Aber auch die anderen fünf Kläger des Prozesses
vor zwei Jahren. Hans war immer dabei. Er kannte sich gut damit aus, mit den Lebensbornheimen
und den Nazis und so.«
»Sie waren
eine Klägerin, nicht?« Martin dachte an die Worte seines Chefs, der ihm davon berichtet
hatte, dass unter der Schirmherrschaft von Professor Keller Kläger, darunter Emilie
Braun, einen medienwirksamen Prozess geführt, aber letztendlich verloren hatten.
Noch interessanter war für die Geier der Presse der Umstand, dass ein Nazi großen
Kalibers in seinem Hotelzimmer aufs Grausamste erschlagen worden war. Und nun galt
es aufzuklären, ob der Professor es selbst getan hatte. Eine Tat mit solch einer
Kraft, die man einem Ringer zutrauen könnte, nicht aber einem schmächtigen Gelehrten
mit einer karierten Fliege am Hemdkragen.
Die Ermittlungen
waren seinerzeit im Sande verlaufen. Es fehlten Spuren, Beweise. Motive indes gab
es reichlich. Die hätte jeder Kläger haben können und hundert andere Menschen, die
einen Nazi lieber tot als lebendig gesehen hätten.
»Haben Sie
mit den anderen Klägern Kontakt gehabt? Ich meine, haben Sie mit ihnen gesprochen?«
Emilie schürzte
die Lippen und schüttelte den Kopf. »Glaub nicht. Nur das, was mich die Richter
gefragt haben, wie ich heiße und so. Den Rest hat der Professor ihnen erzählt. Aber
ich war immer dabei«, sagte sie stolz. »Ein Mal saß ich sogar in einer Hotelbar.«
Emmis Augen funkelten, als sie erzählte. »Wir wohnten alle in dem gleichen schönen
Hotel und hatten eigene Zimmer. So wie hier, nur viel, viel schöner alles.« Ihre
Arme schwangen einen großen Kreis über sich. »In der Hotelhalle hing ein großer
Leuchter mit vielen Lichtern daran. Kristalle heißen die. Ich habe noch nie so schöne
Sachen gesehen. Dann setzten wir uns alle um einen Tisch herum, und ein feiner Kellner
kam extra zu uns. Der Professor saß rechts neben mir, und links von mir saß ein
Priester, so einer mit ’nem weißen Pappding am Hals. Alois hieß der. Der war nett.
Ich durfte eine Cola trinken.« Pohlmann schmunzelte. »Und? Hat sie geschmeckt?«
Emmi sah
zufrieden zur Decke und versuchte, sich den süßen Geschmack ins Gedächtnis zu rufen.
»Ganz gut. Ja. Und dann haben alle ein bisschen von sich erzählt. Wir waren alle
fast gleich alt und kamen aus demselben Kinderheim. Sie haben erzählt, was sie so
beruflich gemacht haben. Alles Dinge, von denen ich nichts verstehe. Mir saß einer
gegenüber, der war mal Architekt, aber den mochte ich nicht leiden. Neben ihm saß
eine Frau, die mal Lehrerin war. So ’ne Dicke. Dann war da ein echter Künstler,
der große Skulpturen baute und versucht hatte, ein Buch zu schreiben. An den letzten
Mann kann ich mich nicht mehr so gut erinnern. Arbeitete in einer Schule, reparierte
alles und so. Na ja, und ich und der Professor waren da und haben Cola getrunken.
Alle haben erzählt, wie wichtig der Prozess für sie ist, um gesund zu werden und
glücklich zu sein und so. Ich habe nicht viel von dem verstanden, was sie sagten,
doch ich habe ihnen allen zugehört. Sie haben mich nicht für verrückt gehalten,
sondern waren sehr nett zu mir, am meisten der Alois.«
»Haben Sie
die Leute nach dem Prozess noch mal wiedergesehen?«
Emmi schüttelte
den Kopf. »Nur den Alois. Der Professor und er wurden Freunde. Er kam ab und zu
und besuchte den Hans und mich.« Emilie kicherte. »Er war nett. Ich glaube, er mochte
mich.« Martin nickte und bemerkte die Müdigkeit, die ihr wegen derart viel gesprochener
Worte ins Gesicht geschrieben stand.
Ein leises
Klopfen ertönte und die Tür zu Emmis Zimmer ging auf. Annegret steckte ihren Kopf
zaghaft durch den Spalt.
»Ich wollte
mal sehen, ob alles in Ordnung ist. Brauchen Sie etwas, Herr Pohlmann? Ein Glas
Wasser
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