Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
ein winziger Zug erlaubt. Also musste
Martin den Tabak aus der Zigarette herauskrümeln, darauf herumkauen und das Nikotin
schlucken statt rauchen. Der Effekt hielt circa vier Stunden an, sodass er ein wenig
schlafen konnte. Alle Mitsüchtigen, die den Flieger auf dem Zwischenstopp verließen,
holten die Feuerzeuge aus den Taschen, redeten kein Wort und stöhnten vor Erleichterung.
Insgeheim bewunderte er seinen Freund Werner, der bereits eine Woche ohne schlechte
Laune rauchfrei war.
Auf dem Weg zurück ins Präsidium,
in dem nagelneuen 528i mit Ledersitzen und Memoryfunktion, elektrischem Schnickschnack,
wohin das Auge fiel, dachte er an die Stunde, die er mit Emilie Braun verbracht
hatte. Er war ein kleines Stück weitergekommen, nicht viel, aber er schien auf einem
guten Weg zu sein. Er nahm sich vor, alles über die Mitkläger des damaligen Prozesses
in Erfahrung zu bringen und worum es konkret gegangen war. Außerdem wollte er alte
Geschichtskenntnisse aus seinem Studium auffrischen: Lebensbornheime. Und es galt,
den Tod von Ursula Seifert aufzuklären, und auch der Selbstmord von Professor Keller
erschien im Licht des nahenden Prozesses zunehmend mysteriöser. Es gab noch furchtbar
viele Fragen: Was wäre, wenn der keinen Selbstmord begangen hätte? Was, wenn jemand
nachgeholfen hatte wie vielleicht bei Frau Seifert? Und warum wollte sich Frau Braun
ständig umbringen? Wie harmlos und ungefährlich war sie wirklich? Hatte sie womöglich
versucht, sich mit ihrem Therapeuten ins Jenseits zu verdrücken, und ihn schon einmal
vorausgeschickt? Oder wollte jemand anderes, dass sich Frau Braun das Leben nahm?
Eigenes paranoides Verhalten oder gezielt lancierter Suizid? Würde dies nicht zwangsläufig
bedeuten, dass sich die anderen Kläger in Gefahr befänden? Der Priester, der Architekt,
der Künstler? Emilie Braun sowieso? Was war an diesem anstehenden Prozess so bedeutsam,
dass man dafür zum Serienmörder wurde? Einen Prozess verhindern, indem man die Kläger
ausschaltete?
Pohlmann fuhr direkt nach Hause.
Den Weg ins Präsidium schenkte er sich. Was zu besprechen war, konnte man auch per
Telefon erledigen. Er brauchte Ruhe und Zeit zum Lesen und zum Zusammensetzen eines
Puzzles, von dem noch eine Menge Teile zu fehlen schienen. Als hätte er mit seinen
Gedanken das Handy zum Leben erweckt, klingelte es auch schon. Er zog es umständlich
aus der Jackentasche hervor und vollzog dabei einen gefährlichen Schlenker auf die
Spur der Gegenseite. Er sah auf das Display und konnte die Nummer nicht als eine
ihm bekannte identifizieren.
»Pohlmann«,
meldete er sich und klemmte das Gerät zwischen Ohr und Arm. Er hätte auch die Freisprechanlage
des BMW nutzen können, doch sein Handy war noch nicht via Bluetooth angemeldet gewesen.
Außerdem hatte er in den zwei Jahren, in denen er weg war, die zivilisatorischen
Errungenschaften nur zu einem Bruchteil mitbekommen und sie in den wenigen Tagen,
in denen er wieder hier war, noch nicht aufgeholt.
»Hör zu,
du Arsch!«, meldete sich die Stimme am anderen Ende. »Morgen steht der Wagen da,
wo er heute Morgen stand, oder du hast ein echtes Problem.« Pohlmann hielt das brüllende
Handy vom Ohr weg und starrte es an. Schöller, an den er eben noch gedacht hatte
und schnell wieder vergessen wollte. »Wieso? Ist das dein Wagen oder der von Papi?
Der gehört, soweit ich informiert bin, der Polizei und ich wüsste nicht, wieso ausgerechnet
du ein Anrecht darauf hättest, diesen Wagen zu fahren.« Pohlmann wartete die Reaktion
nicht ab. »Macht echt Spaß. Gar kein Vergleich zu dem Passat, aber den kennst du
ja.«
Schöller
kochte am anderen Ende, man hörte sein tiefes Atmen. Offenbar wusste er nicht, wie
er auf so viel Dreistigkeit reagieren sollte. »Tu es einfach. Morgen will ich meinen
Wagen wiederhaben.«
»So ein
Auto muss man sich bei der Polizei verdienen, den kriegt man nicht einfach so«,
gab Pohlmann zurück.
Soeben bog
er in die Lutterothstraße ein und hielt nach einem Parkplatz Ausschau. Im Prätoriusweg
würde eh nichts frei sein. Schöller hatte inzwischen diese Anspielung zu deuten
gewusst und die Stopptaste gedrückt. Irgendetwas würde er gegen Pohlmann unternehmen.
Er wusste nur noch nicht, was und wann. Aber dass er es tun müsste, stand außer
Frage.
Pohlmann steckte das Handy weg und
fand erstaunlicherweise einen Parkplatz direkt vor dem Haus, in dem sich seine Wohnung
befand. Er ging die Stufen empor und fand die Wohnungstür unversehrt
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