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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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Kleiderschrank und betrachtete die spärliche Garderobe
ihres Schützlings. Kleider aus den Siebzigern, mit langen Krägen und Blütenmustern,
zwei Strickjacken, eine rot, die andere hellblau, graue Röcke, mehrfach geändert,
mal enger genäht und dann wieder ausgelassen, je nachdem, ob Emmi beschloss, sich
tot zu hungern oder wieder zuzunehmen. Annegret zog eine Kombination hervor, von
der sie glaubte, dass sie Emmis ausgemergelten Körper halbwegs kleidsam wärmen könne.
    Soeben hatte
sie den Knopf des Rockes geschlossen und ihr eine Jacke übergezogen, da klopfte
es an der Tür. Annegret drehte sich zur Tür um, ging ein paar schnelle Schritte
und öffnete sie. Vor ihr stand Kommissar Pohlmann, und die Veränderungen an ihm
entgingen ihr nicht. Er trug eine dunkle Hose, ein weißes Hemd ohne Krawatte und
ein Sakko – Art, Farbe und Stoff wie die Hose. Nur die Schuhe fielen aus dem Rahmen;
vorn an der Spitze verzierte Cowboystiefel, deren Schäfte unter der Hose verschwanden.
    Pohlmann
gab Annegret die Hand, lächelte und sah an ihr vorbei zu der alten Frau, wegen der
er gekommen war. Er war neugierig geworden auf den Menschen, der sich überwiegend
in Geschriebenem und nicht in Gesprochenem offenbarte. Er hoffte auf eine Chance,
etwas mehr als wenige einsilbige Brocken aus ihr herauszulocken. Schon deshalb,
um Licht in diesen ominösen Fall zu bringen und Lorenz zu einem vorzeigbaren Ergebnis
zu verhelfen. Annegret trat einen Schritt zurück und machte ihm Platz.
    »Hallo,
Frau Braun.« Martin gab Emmi die Hand und fürchtete, jeden einzelnen Handknochen
zu zerbrechen, sollte er mit gewohnter Kraft zudrücken. Er lockerte den Griff, damit
nichts auseinanderfallen konnte. Emilie hatte in einem zersessenen Chippendale Platz
genommen, sodass Martin mit dem alten Holzstuhl vorlieb nehmen musste. Annegret
blieb irritiert im Raum stehen und wusste nicht, ob sie bleiben oder gehen sollte.
Oft hatte sie Situationen wie diese nicht erlebt. Ermittlungen in einer psychiatrischen
Anstalt waren selten, zumindest während ihrer bisherigen Zeit im LKH. Pohlmann und
Emmi schwiegen noch, also beschloss sie, zu gehen und in Reichweite zu bleiben.
»Okay, ich mach dann mal weiter«, sagte sie verlegen und rieb sich die Hände. »Wenn
Sie mich brauchen …«, sie zeigte mit dem Daumen in Richtung des Flures.
    »Nein, ich
denke, nicht.« Pohlmann wandte sich Emilie zu. »Wir schaffen das schon.« Annegret
nickte und ging. Sie überlegte, ob sie die Tür anlehnen sollte, schloss sie jedoch
nach einem entsprechenden Blick des Kommissars.
     
    Martin Pohlmann lehnte sich zurück
und verschränkte die Arme. Eine Geste, von der er wusste, dass sie Verschlossenheit
signalisierte, also korrigierte er die Haltung und legte die Hände auf seine Knie.
Wartend schaute er sein Gegenüber an.
    »Dräger
mag mich nicht«, sagte Emmi plötzlich und stülpte die Lippen wie ein schmollendes
Kind.
    Pohlmann
legte den Kopf schief und zog die Stirn in Falten. »Wer ist Dräger?«
    »Pfleger.«
Emmis Gesicht nahm düstere Züge an.
    »Wieso?
Was tut er denn?« Pohlmann neigte sich vor und begann, sich zu entspannen. Ein Gespräch
war begonnen und das fand er unglaublich, weil sie sich entschieden hatte, mit ihm
zu sprechen.
    »Beschimpft
mich. Ist böse zu mir. Will, dass ich sterbe. Will ich ja auch, aber nicht, weil
er es will.«
    Pohlmann
hob die Augenbrauen und bemerkte eine gewisse Hilflosigkeit in Dingen der Psychologie
in sich aufsteigen. Was wäre, wenn er etwas falsch machen würde? Ein unbedachtes
Wort vielleicht und sie würde sich wieder die Pulsadern aufschneiden wollen. Was
sollte er tun: sie bestärken oder sie beschwichtigen? Er beschloss, einfach nur
zuzuhören und seine Fragen in eine andere Richtung zu lenken. Weg vom Tod, hin zu
seinem Fall. »Sie haben da eine ganze Menge aufgeschrieben, Frau Braun.«
    »Mein Buch.«
Emmis Augen begannen zu leuchten.
    »Ja, genau. Ihr Buch. Wirklich beeindruckend! Unheimlich viele Seiten.« Pohlmann artikulierte
mit Lippen und Zunge ein anerkennendes Ploppen. »Ich kann nicht gut schreiben, aber
Ihnen scheint das zu liegen. Schönes Gedicht auf Seite 73.« Pohlmann berührte seine
Stirn. »Bisschen traurig vielleicht.«
    »Alles ist
traurig. Von Anfang an.« Pohlmann fragte sich, ob sie den Inhalt ihres Buches oder
ihr Dasein meinte. Vermutlich beides, wenn das Buch autobiografisch war.
    »Sie können
sich gut erinnern, was? Ich weiß, ältere Leute haben ein gutes Langzeitgedächtnis,
aber Sie

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