Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Kanzlei im Blick hatte, Stephan gern abpasste, um die wie zufällig wirkenden Treffen für spitze Bemerkungen zu nutzen, mit denen er Stephans berufliches Dasein höhnisch kommentierte. Stephans Neubeginn als Einzelanwalt gestaltete sich in der Tat schwierig. Die Mandate sprudelten nicht wie erhofft, und der nach der Trennung von Löffke erhoffte Synergieeffekt, in gewisser Weise doch noch an der nun ebenfalls schwindenden Popularität der unteren Kanzlei partizipieren zu können, erwies sich als Trugschluss. Löffke kämpfte mit zwei angestellten Anwälten seit einiger Zeit selbst darum, seine Kanzlei halten zu können. Die Zeiten, in denen eine Anwaltskanzlei irgendwie von selbst lief, waren längst vorbei. Immer mehr potenzielle Mandanten nutzten die Informationsangebote des Internets und schlichteten ihre Streite lieber kostengünstiger durch Mediation. Löffke war die Mediation fremd wie dem Teufel das Gebet. Er verstand sich als nach wie vor unerbittlicher Kämpfer seiner Klientel, der jedoch langsam erkennen musste, dass ihm immer weniger Kämpfe angetragen wurden. Alles sprach dafür, in den wirtschaftlich engeren Zeiten miteinander zu kooperieren, und in der Sache Wendel hätte Löffke, der in der Vergangenheit häufiger als Strafverteidiger tätig gewesen war, vielleicht noch weiterführende Tipps geben können, doch es gelang nicht, sich auf einer rein sachlichen Ebene zu begegnen. Warum also sollte Stephan in diesem Mansardenbüro bleiben? Trost hatte die entscheidende Frage auf den Punkt gebracht.
Aus dem Garten drang ein dröhnendes Rülpsen nach oben. Löffke trank, wie er es an heißen Tagen gern tat, literweise kohlensäurehaltigen Sprudel und steigerte sich mit zunehmender Lautstärke in seinen Schriftsatz hinein. Stephan schloss die Fenster.
Als er sich umwandte, stand Marie im Zimmer, auf dem Arm ihre kleine Tochter Elisa, die während der Zeit, in der Marie mit reduzierter Stundenzahl ihrer Tätigkeit als Lehrerin nachging, von einer Tagesmutter und ansonsten hauptsächlich von Marie betreut wurde. Marie hatte in der Stadt eingekauft, stellte ihre Einkaufstasche ab und verschwand kurz, um sich zu waschen, bevor sie auf einer zum Wickeltisch umfunktionierten Aktenablage Elisa versorgte. Stephan berichtete währenddessen von seinem Besuch bei Trost.
»Das heißt, dass deine Tätigkeit für Maxim Wendel vergeblich sein könnte. Wenn an der Sache nichts dran ist, verdienen wir keinen Euro«, schloss sie.
Stephan lächelte still. Marie schloss sich in der Wortwahl bei seiner Anwaltstätigkeit häufig mit ein. Sie sprach nicht zufällig von wir , was zum einen ihr Engagement als Detektivin signalisierte, das immer wieder zum Erfolg in seinen Fällen beigetragen hatte. Zum anderen und im Besonderen motivierte sie Stephan, weil die finanziell häufig magere Bilanz seiner Tätigkeit immer häufiger die weitere Ausübung seines Berufs infrage stellte. Das immer wieder diskutierte Problem, ob und in welcher Form Stephan weiterarbeiten sollte, wurde nur deshalb nicht dringlich, weil Maries Gehalt als Lehrerin einen gewissen Grundstock für die Familie bot und sie darüber hinaus Stephan immer wieder motivierte, sich auf seine unzweifelhaften Erfolge zu besinnen und darauf zu setzen, dass seine Arbeit irgendwann Früchte tragen werde. Auch jetzt war das Risiko, im Fall Wendel finanziell leer auszugehen, keine Empfehlung, das Mandat besser abzulehnen, sondern nur die nüchterne Feststellung, dass er – einmal mehr – mit einem wirtschaftlichen Totalausfall rechnen müsse.
»Sind die rechtlichen Hürden wirklich so hoch?«, fragte sie, während sie gekonnt der Tochter ein Plastiklätzchen umband und sie mit Früchtebrei zu füttern begann.
»Das Gesetz ist knapp und eindeutig«, antwortete Stephan. »Wenn überhaupt, kommen nur zwei Varianten in Betracht.« Er ging zu seinem Schreibtisch, schlug die Strafprozessordnung auf und las auszugsweise aus deren Paragraf 359 vor:
»Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens zugunsten des Verurteilten ist zulässig, … wenn der Zeuge … sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat … oder wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten zu begründen geeignet sind.«
Stephan schlug das Gesetz zu und legte es auf
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