Rasterfrau: Knobels achter Fall (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
ausgeschöpft zu haben. Das ist ein Ergebnis, mit dem ich gut leben kann. Ob der Mörder lebenslang hinter Gitter geht oder nicht, ist für mich selbst ohne Belang. Deshalb gilt für den Fummler Wendel: Es hat nicht den Falschen getroffen, aber wenn es prozessuale Möglichkeiten gibt, die ihm die Tür nach draußen öffnen, dann soll es so sein. Ich sehe das ganz leidenschaftslos.«
Stephan hatte verstohlen auf seine Uhr geblickt. Trost schaffte es, aus dem Stand heraus geschliffene Monologe zu halten. Er mied das Gespräch, hielt lieber langatmige Plädoyers in eigener Sache.
»Haben Sie damals Wendel ihre Verteidigung angedient oder ist er auf Sie zugekommen?«, fragte Stephan.
»Es ging quasi von beiden Seiten aus«, antwortete Trost. »Dem Schulleiter war daran gelegen, dass ich die Verteidigung übernehme, um zu verhindern, dass das Aufsehen, welches dieser Fall ohnehin erregte, nicht noch durch eine tollpatschige Verteidigung vergrößert wird. Alles sollte in geordneten Bahnen verlaufen. Zugleich rief mich Wendel aus der Untersuchungshaft an und bat mich, ihn zu verteidigen. Er kannte mich aus der Schule und wusste um meinen Beruf. Es ist auch einleuchtend, warum er keine Probleme damit hatte, ausgerechnet mich zu beauftragen. Da Wendel ohnehin nicht einsah, sich in irgendeiner Weise in der Schule dienstlich falsch verhalten zu haben, war es für ihn auch völlig unproblematisch, einen Verteidiger auszuwählen, der sein Vorleben kannte, das aus Wendels eigener Sicht eben nicht kritikwürdig war. Wendel wusste, dass ich meinen Job professionell machen würde«, nahm Trost Stephans unausgesprochene Bedenken auf. »Ich stand nicht im Lager des Schulleiters, wenn Sie das befürchten sollten.«
»Hat Wendel Ihnen persönlich gegenüber jemals zugegeben, mit dem Tod Gossmanns etwas zu tun gehabt zu haben?«, fragte er weiter.
»Nein, das hat er nie. Er hat von Anfang an immer seine Unschuld beteuert. Aber das ist nichts Außergewöhnliches. Es gibt Angeklagte, die gestehen ihrem Anwalt gegenüber kein Sterbenswörtchen, weil sie befürchten, dann nicht mehr richtig verteidigt zu werden. Vielleicht trifft das ja auch in einzelnen Fällen zu. Es gibt Vertreter unserer Zunft, die müssen vom Gutsein ihres Mandanten überzeugt sein. Das sind unsere ritterlichen Kollegen, die sich der guten Sache, dem guten Menschen verpflichtet fühlen und für die deshalb das gute Recht auch nur das Recht der Guten ist. Ich bin da anders. Jeder Mensch kriegt von mir das, was rechtlich machbar ist. Schnörkellos.«
Stephan merkte, dass Trost Fragen dieser Art vertraut waren und überzeugend zu beantworten wusste. Er hatte sich mit den Themen Moral und Recht auseinandergesetzt und eine geschliffene Antwort für sich gefunden. Trost war aus den Gründen Strafverteidiger, wegen derer Stephan dies eben nicht sein konnte. Die Übernahme des Mandats Wendel lag tatsächlich nur darin begründet, dass Stephan allen Beweisen zum Trotz Wendel intuitiv Glauben schenkte und seine erfolgreiche Vertretung Geld in die Kanzleikasse spülen könnte. Wendel hatte Stephans Motivation durchschaut.
»Ich drehe mich im Fall Wendel immer wieder um eine Frage«, hob Stephan wieder an: »Warum behauptet Wendel, die Tatwaffe, also diese Flasche, nie in der Hand gehabt zu haben, wenn sich doch nachweislich seine Spuren darauf fanden?«
»Das ist eine der Merkwürdigkeiten des Prozesses gewesen«, gab Trost zu. »Ich kann mir nur erklären, dass Wendel das ganze Tatgeschehen komplett verdrängt hat, vielleicht also sogar gutgläubig meint, die Tat gar nicht begangen zu haben. Ich habe ihm in der letzten Prozessphase eindringlich geraten, die Benutzung der Flasche zuzugeben, weil wir angesichts der absehbar zu unserem Nachteil ausgehenden Beweislage keine vernünftige Darstellung geben konnten, wie die Spuren Wendels auf die Flasche gekommen sein konnten. Meine Überlegung war, Wendel dazu zu bringen, die Tötung Gossmanns zu gestehen, freilich als eine Spontantat, bei der er die Tötung des Rentners nicht einmal für möglich gehalten hat. Mein Ziel war es, in irgendeiner Weise zu einer Körperverletzung mit Todesfolge zu kommen. Ich musste ja den Vorsatz zur Tötung und letztlich den Mord zur Verdeckung einer anderen Straftat umschiffen. Aber all diese Überlegungen waren für die Katz. Wendel blieb steif und fest bei der Behauptung, diese Flasche nie angefasst zu haben. Das Gericht hat übrigens noch durch einen weiteren Sachverständigen klären lassen,
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