Raststätte Mile 81
Daddy? Wo Mami? Ich will Mami!«
Ich will sie auch, Dummkopf, dachte Rachel und öffnete seine Gurte. »Wir steigen jetzt aus, und dann … dann …«
Was dann? Was würden sie dann tun? Ins Restaurant weitergehen? Es war geschlossen, deshalb sperrten die orangeroten Fässer ja die Einfahrt ab. Deshalb waren die Zapfsäulen vor dem Tankstellenteil abgebaut worden, und deshalb wuchs das Unkraut aus dem Asphalt des ehemaligen Parkplatzes.
»… dann verschwinden wir von hier«, schloss sie.
Sie stieg aus und ging auf Blakies Seite hinüber. Sie öffnete die Tür, aber er sah sie nur mit in Tränen schwimmenden Augen an. »Ich kann nicht aussteigen, Rachie, ich fall hin.«
Sei kein so Angsthase! Das hätte sie beinahe gesagt, aber dann tat sie es doch nicht. Jetzt war nicht der richtige Augenblick dafür. Er war schon durcheinander genug. Sie breitete die Arme aus und sagte: »Rutsch runter. Ich fang dich auf.«
Er sah sie zweifelnd an, dann rutschte er. Rachel fing ihn auf, aber er war schwerer, als er aussah, und sie gingen beide zu Boden. Rachel bekam das meiste ab, weil sie unten war, aber Blakie schlug sich den Kopf an und schürfte sich eine Hand auf. Prompt begann er wieder laut zu plärren – diesmal vor Schmerzen, nicht aus Angst.
»Jetzt hör auf damit«, sagte sie und wand sich unter ihm hervor. »Sei kein so Schlappschwanz, Blakie.«
»Hä?«
Sie gab keine Antwort. Sie betrachtete die beiden Handys, die neben dem schrecklichen Kombi lagen. Eines schien kaputt zu sein, das andere jedoch …
Rachel kroch auf allen vieren darauf zu, ohne das Auto, in dem ihre Eltern erschreckend schnell verschwunden waren, eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Als sie nach dem intakten Handy griff, tappte Blakie mit ausgestreckter aufgeschürfter Hand an ihr vorbei auf den Kombi zu.
»Mama? Mami? Komm raus! Ich hab ein Aua. Du musst kommen und pusten …«
»Du bleibst sofort stehen, Blake Lussier.«
Carla wäre stolz auf sie gewesen; das hier war ihre Ihr-der-gehorcht-werden-muss-Stimme im drohendsten Ton. Und sie funktionierte. Blake machte drei Schritte vor dem Kombi halt.
»Aber ich will Mami! Ich will Mami, Rachie!«
Sie packte ihn an der Hand und zog ihn von dem Auto weg. »Jetzt nicht. Du musst mir erst mit dem Ding hier helfen.« Sie wusste genau, wie ein Handy funktionierte, aber irgendwie musste sie ihn ablenken.
»Gib’s mir, ich kann das! Gib’s mir, Rache!«
Sie gab ihm das Mobiltelefon, und während er die Tasten studierte, stand sie auf, packte ihn hinten an seinem T-Shirt mit der Comicfigur Wolverine und zog ihn drei weitere Schritte zurück. Blake merkte das kaum. Er fand die Einschalttaste von Julie Vernons Handy und drückte sie. Das Telefon piepste. Rachel nahm es ihm ab, und dieses eine Mal in seinem dämlichen Kleinkinderleben protestierte Blakie nicht.
Sie hatte aufmerksam zugehört, als der Polizeihund McGruff in die Schule gekommen war (obwohl sie genau wusste, dass das nur ein Kerl in einem McGruff-Kostüm war), und sie zögerte jetzt keine Sekunde. Sie tippte die 911 ein und hob das Handy ans Ohr. Es klingelte einmal, dann wurde abgenommen.
»Hallo? Mein Name ist Rachel Ann Lussier, und …«
»Dieses Gespräch wird aufgezeichnet«, übertönte eine Männerstimme sie. »Möchten Sie einen Notfall melden, drücken Sie die Eins. Möchten Sie schlechte Straßenverhältnisse melden, drücken Sie die Zwei. Möchten Sie einen liegen gebliebenen Wagen melden …«
»Rache? Rachie? Wo Mami? Wo Da…«
»Pst!«, machte Rachel streng und drückte die Eins. Das war nicht einfach. Ihre Hand zitterte, und vor ihren Augen verschwamm alles. Sie merkte, dass sie weinte. Wann hatte sie zu weinen angefangen? Sie wusste es nicht.
»Hallo, hier ist 911«, sagte eine Frau.
»Sind Sie echt oder auch bloß ein Tonband?«, fragte Rachel.
»Ich bin echt«, sagte die Frau leicht amüsiert. »Hast du einen Notfall zu melden?«
»Ja. Ein böses Auto hat unsere Mama und unseren Daddy gefressen. Es steht an der …«
»Steig lieber rechtzeitig aus«, sagte die 911-Lady. Ihre Stimme klang jetzt noch amüsierter. »Wie alt bist du, Mädchen?«
»Ich bin sechseinhalb. Ich heiße Rachel Ann Lussier, und ein Auto, ein böses Auto …«
»Hör zu, Rachel Ann oder wer immer du bist, ich kann feststellen, woher dieser Anruf kommt. Hast du das gewusst? Ich wette, nicht. Leg jetzt einfach auf, dann muss ich keinen Polizisten zu eurem Haus schicken, damit er dir den Hintern …«
»Sie sind tot, Sie blöde
Weitere Kostenlose Bücher