Raststätte Mile 81
streicheln«, sagte Rachel in dem hochnäsigen Tonfall einer Grundherrin, den sie Gott weiß wo aufgeschnappt hatte. Er trieb Carla in den Wahnsinn, aber sie hielt sich zurück. Wenn sie jetzt etwas sagte, würde Rache erst recht weiter so affektiert tun.
»Nicht ohne die Erlaubnis der Lady«, sagte Johnny. »Ihr Kinder bleibt erst mal, wo ihr seid. Du auch, Carla.«
»Ja, Gebieter«, sagte Carla mit der Zombiestimme, die die Kinder immer zum Lachen brachte.
»Sehr komisch!«
»Im Pick-up war sie nicht zu sehen«, sagte Carla. »Auch die anderen Autos scheinen leer zu sein. Glaubst du, dass es einen Unfall gegeben hat?«
»Keine Ahnung, aber angebeult scheint nichts zu sein. Wartet einen Augenblick.«
Johnny Lussier stieg aus, umrundete das Heck seines Expeditions, den er nie mehr abzahlen würde, und ging zum Fahrerhaus des Dodge Rams. Carla hatte die Pferdelady nicht sehen können, aber er wollte sich vergewissern, dass sie nicht auf dem Sitz lag und vielleicht gerade einen Herzanfall zu überleben versuchte. (Als lebenslanger Jogger war Johnny insgeheim der Überzeugung, dass auf jeden, der auch nur fünf Pfund über dem von Medicine.net verschriebenen Idealgewicht lag, spätestens im Alter von fünfundvierzig Jahren ein Herzinfarkt wartete.)
Sie lag nicht quer auf dem Sitz (natürlich nicht, eine so große Frau hätte Carla selbst liegend sehen müssen) und sie war auch nicht in dem Anhänger. Da war nur die Stute, die den Kopf herausstreckte und Johnnys Gesicht beschnupperte.
»Hallo …« Einen Augenblick lang fiel ihm der Name nicht ein, aber dann wusste er ihn wieder. »… DeeDee. Na, so weit alles klar?«
Er tätschelte ihr die Nüstern, dann machte er sich die Einfahrt entlang auf den Rückweg, um sich die beiden anderen Wagen anzusehen. Er stellte fest, dass es hier doch eine Art Unfall gegeben hatte, allerdings einen ganz unbedeutenden. Der Kombi hatte ein paar der orangeroten Fässer umgefahren, mit denen die Einfahrt abgesperrt war.
Carla fuhr das Fenster auf ihrer Seite herunter. Die hinteren Seitenfenster waren mit der Kindersicherung verriegelt. »Irgendein Anzeichen von ihr?«
»Nö.«
»Irgendein Anzeichen von irgendwem? «
»Carla, gib mir ’ne Chan…« In dem Moment sah er die beiden Handys und den Ehering unter der halb offenen Tür des Kombis liegen.
»Was gibt’s?« Carla verrenkte sich den Hals, konnte aber nichts erkennen.
»Augenblick!« Er überlegte kurz, ob er sie auffordern sollte, die Türen zu verriegeln, verwarf diesen Gedanken aber wieder. Großer Gott, sie waren am helllichten Tag auf der I-95. Alle zwanzig, dreißig Sekunden kam ein Auto vorbei, manchmal zwei oder drei hintereinander.
Er bückte sich und hob die Telefone auf, mit jeder Hand eines. Er drehte sich nach Carla um und sah deshalb nicht, dass die Fahrertür des Kombis sich wie ein gefräßiges Maul weiter öffnete.
»Carla, ich glaube, an dem hier ist Blut.« Er hielt Doug Claytons Handy, das mit dem Sprung im Gehäuse, hoch.
»Mama?«, sagte Rachel. »Wer ist in dem schmutzigen Auto? Die Tür geht auf.«
»Komm zurück«, sagte Carla. Ihre Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet. Sie wollte die Worte schreien, aber auf ihrer Brust schien ein Felsblock zu lasten. Unsichtbar, aber sehr groß. »In dem Wagen ist jemand!«
Statt zurückzukommen, drehte Johnny sich um und bückte sich, um in den Kombi hineinzusehen. Als er das tat, schwang die Tür nach innen gegen seinen Kopf. Dabei war ein schrecklicher dumpfer Aufprall zu hören. Der Felsblock auf Carlas Brust war plötzlich verschwunden. Sie holte tief Luft und kreischte den Namen ihres Mannes.
»Was ist mit Daddy los?«, schrie Rachel. Ihre Stimme war unnatürlich hoch und dünn. »Was ist mit Daddy los?«
»Daddy!«, rief Blake. Er hatte eben seine neuesten Transformers geordnet und sah sich jetzt wild nach fraglichem Daddy um.
Carla überlegte nicht lange. Der Körper ihres Mannes war noch da, auch wenn sein Kopf in dem schmutzigen Kombi steckte. Immerhin lebte Johnny noch; er schlug mit Armen und Beinen um sich. Sie war aus dem Expedition heraus, ohne sich erinnern zu können, die Tür geöffnet zu haben. Ihr Körper schien ganz selbständig zu handeln; ihr benommenes Gehirn war ohne eigenes Zutun dabei.
»Mami, nein!«, kreischte Rachel.
»Mami, NEIN! « Blake hatte keine Ahnung, was hier vorging, aber er wusste, dass es schlecht war. Er fing an, zu weinen und gegen das Gurtzeug anzukämpfen, das ihn in seinem Kindersitz
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