Raststätte Mile 81
sie auf dem Parkplatz von Damon’s neben dem Pferdeanhänger geparkt. Die Pferdelady (fast so groß wie ihr Pferd) lehnte an dem Hänger, aß selbst ein Eis und fütterte ihr sehr hübsches Tier mit irgendwas. Carla glaubte zu sehen, dass der Leckerbissen ein Kashi-Müsliriegel war.
Johnny, der an jeder Hand ein Kind hatte, wollte an dem Hänger vorbei, aber darauf ließ Blake sich nicht ein. »Darf ich dein Pferd streicheln?«, fragte er.
»Kostet dich fünfundzwanzig Cent«, sagte die große Lady in dem braunen Reitrock, dann grinste sie über Blakies niedergeschlagenen Gesichtsausdruck. »Ach was, war bloß ein Scherz. Hier, nimm das mal.« Sie hielt Blake ihre tropfende Eiswaffel hin, und er war zu überrascht, um etwas anderes zu tun, als sie zu nehmen. Dann hob sie ihn hoch, damit er den Kopf des Pferdes streicheln konnte. DeeDee betrachtete den großäugigen Jungen gelassen, schnupperte an der tropfenden Eiswaffel der Pferdelady, verlor das Interesse daran und ließ sich die Nüstern streicheln.
»Boah, weich!«, sagte Blake. Carla hatte ihn noch nie mit so schlichter Ehrfurcht sprechen hören. Wieso waren sie nie mit den Kindern in einen Streichelzoo gegangen, fragte sie sich und setzte das sofort auf ihre mentale To-do-Liste.
»Ich, ich, ich!«, trompetete Rachel und tanzte ungeduldig umher.
Die große Lady setzte Blake ab. »Schleck ruhig von meinem Eis, während ich deine Schwester hochhebe«, sagte sie zu ihm. »Aber pass auf, dass keine Bazillen draufkommen, okay?«
Carla überlegte, ob sie Blake sagen sollte, es sei nicht okay, Angegessenes, vor allem das fremder Leute, anzunehmen. Dann sah sie Johnnys leicht verwirrtes Grinsen und dachte: Ach, was soll’s. Man schickte seine Kinder in Schulen, die im Grunde genommen Keimfabriken waren. Man fuhr mit ihnen Hunderte von Meilen auf dem Turnpike, auf dem jeder betrunkene Verrückte oder SMS schreibende Teenager über den Mittelstreifen geraten und sie auslöschen konnte. Und dann wollte man ihnen verbieten, von einem schon angeleckten Eis zu essen? Vielleicht hieß das ja, die Kindersitz- und Fahrradhelmmentalität etwas zu weit zu treiben.
Die Pferdelady hob Rachel hoch, damit auch sie die Nüstern der Stute streicheln konnte. »Ui, süß!«, sagte Rachel. »Wie heißt dein Pferd?«
»DeeDee.«
»Toller Name! Ich hab dich lieb, DeeDee!«
»Ich hab dich auch lieb, DeeDee«, sagte die Pferdelady und drückte DeeDee einen dicken Schmatz auf die weiche Nase. Darüber mussten sie alle lachen.
»Mama, können wir ein Pferd kriegen?«
»Ja!«, sagte Carla gut gelaunt. »Wenn du sechsundzwanzig bist!«
Sofort setzte Rachel ihr Wutgesicht auf (gerunzelte Stirn, aufgeblasene Backen, die Lippen ein schmaler Strich), doch als die Pferdelady lachte, gab sie sofort auf und lachte auch.
Die große Frau beugte sich zu Blakie hinunter und stützte die Hände auf die von ihrem Reitrock bedeckten Knie. »Dürfte ich meine Eiswaffel wiederhaben, junger Mann?«
Blake hielt sie ihr hin. Nachdem sie sie genommen hatte, begann er sich die Finger abzulecken, an denen schmelzendes Pistazieneis klebte.
»Danke«, sagte Carla zu der Pferdelady. »Das war sehr freundlich von Ihnen.« Dann zu Blake: »Komm, wir sehen zu, dass wir dich drinnen sauber kriegen. Danach kannst du ein Eis haben.«
»Ich will, was sie hat«, sagte Blake und darüber musste die Pferdelady wieder lachen.
Johnny bestand darauf, dass sie ihr Eis in einer der Sitznischen aßen, weil er nicht wollte, dass sie den Expedition mit Pistazieneis verzierten. Als sie fertig waren und wieder ins Freie kamen, war die Pferdelady weitergefahren.
Bloß jemand von diesen Leuten – manchmal unerfreuliche Zeitgenossen, öfter mal nette und hin und wieder sogar hinreißende –, denen man unterwegs auf der Straße begegnete und die man nie wiedersah.
*
Nur war sie jetzt hier – oder zumindest ihr Pick-up, der mit sorgfältig hinter dem Anhänger aufgestellten Warnkegeln auf dem Standstreifen geparkt war. Und Carla hatte recht, die Pferdelady war nett zu den Kindern gewesen. Während er das dachte, traf Johnny Lussier die schlechteste Entscheidung seines Lebens.
Er setzte den Blinker, bog rechts in die Einfahrt ein, und hielt, wie Carla vorgeschlagen hatte, vor Doug Claytons Prius, dessen Warnblinkanlage nach wie vor blinkte, und neben dem schlammigen Kombi. Er stellte den Wählhebel auf P, ließ aber den Motor laufen.
»Ich will das Hottehü streicheln«, sagte Blake.
»Auch ich will das Hottehü
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