Ratgeber Neuropsychologie
Herr B. mit zwar gebessertem, aber immer noch vorhandenem Gesichtfelddefekt sowie weiter bestehenden Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen aus der Rehabilitationsklinik entlassen. Zum Zeitpunkt der Entlassung war seine Belastbarkeit deutlich vermindert, seine Leistungsfähigkeit schwankte stark und er konnte sie nicht korrekt einschätzen.
Die emotionale Schwingungsfähigkeit war weiterhin eingeschränkt, er wiederholte Gedankengänge immer wieder und konnte sich nicht auf neue Situationen einstellen.
Herr B. erhielt ambulante neuropsychologische Therapie und machte u.a. ein Praktikum in einem Automobilwerk, um zu erproben, ob er in seinem Beruf als Bauschlosser trotz seiner kognitiven Probleme wieder arbeiten können würde. Zunächst wurden die Trainingsverfahren aus der stationären Rehabilitation fortgeführt und an die Alltagssituation des Patienten angepasst. Später wurden Mitarbeiter und Vorgesetzte im Praktikum über die Auswirkungen der Störungen und den optimalen Umgang damit informiert. Weiterhin wurde verstärkt an einer realistischen Störungseinsicht gearbeitet. Sehr belastend war für ihn auch, dass die verbliebene Gesichtsfeldproblematik das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht erlaubte. Dadurch war sein früheres Hobby (Kaufen und Aufarbeiten von Autos für Autorennen und Fahren von Autorennen) nun nicht mehr möglich.
Mit Hilfe der therapeutischen Unterstützung gelang es Herrn B. zunehmend, seinen Alltag selbstständig neu zu ordnen. Bei seiner Arbeit wurde er belastbarer und selbstsicherer. Nach Abschluss des Praktikums erhielt er in seiner früheren Firma zunächst einen befristeten Arbeitsplatz. Auch hier wurde die Einarbeitung neuropsychologisch begleitet. Nach seiner Probezeit wurde er ab Herbst 2001 in ein festes Anstellungsverhältnis übernommen. Die neuropsychologische Unterstützung wurde in größer werdenden Abständen bis Anfang 2005 fortgesetzt. Herr B. ist nun trotz weiter bestehender Gesichtsfelddefekte in der Lage, als Bauschlosser vollschichtig zu arbeiten. Er hat gelernt, die Gefahren, die aus seinen Störungen erwachsen, realistisch einzuschätzen und sie sicher zu kompensieren. Er hat sich inzwischen eine neue Wohnung eingerichtet, baut seine Schulden ab und hat eine Lebensgefährtin.
Frau L.P. *1983
Frau P. erlitt im Alter von knapp 19 Jahren einen so genannten Posterior-Insult, einen Infarkt der linken hinteren hirnversorgenden Arterie. Die Folgen waren in erster Linie eine Halbseitenlähmung rechts, die vor allem den Arm betraf, und ein Gesichtsfeldausfall auf der rechten Seite.
Die neuropsychologische Untersuchung bestätigte den Gesichtsfeldausfall. Bei den Gedächtnisleistungen konnten keinerlei Einbußen festgestellt werden. Auch die kurzfristigen Aufmerksamkeitsleistungen schienen unbeeinträchtigt, lediglich nach längerer Belastung zeigte sich ein leichter Abfall der Konzentrationsleistung.
Auch die intellektuellen Leistungen waren größtenteils durchschnittlich, genauere Untersuchungen brachten jedoch eine leichte Sprach- und Rechenstörung ans Licht, die der Patientin zwar bewusst war, aber die sie aus „Scham“ nicht angegeben hatte.
Das Verhalten der Patientin war insgesamt unauffällig; sie verhielt sich freundlich, war darauf bedacht, nicht „anzuecken“. Mit ihrem sympathischem Auftreten hatte sie einen außerordentlich positiven Ruf, der im Gegenzug dazu beitrug, dass ihre Probleme unterschätzt wurden und sie dadurch gelegentlich überfordert wurde, ohne dass es die Menschen in ihrer Umgebung bemerkten und darauf reagieren konnten. Das Zeigen von Schwäche oder das Bitten um Unterstützung fiel ihr ausgesprochen schwer.
Bei der Therapieplanung gab es mehrere Schwerpunkte: Der behandelnde Neuropsychologe vermittelte Frau P. Strategien zum Umgang mit dem Gesichtsfeldausfall. So lernte sie beispielsweise, mit dem ihr bleibenden Sehvermögen ihre Umgebung komplett in Augenschein zu nehmen. Auch die Lesefähigkeit wurde trainiert. Schließlich wurde noch ein intensives Rechentraining durchgeführt und die leichte Sprachstörung durch eine Sprachtherapeutin behandelt.
Bereits während der Behandlungsphase war jedoch vorherzusagen, dass Frau P. ihrer bisherigen Tätigkeit als Zahntechnikerin nicht mehr nachgehen können würde. Diese schwierige Erkenntnis wurde der Patientin behutsam vermittelt und gleichzeitig wurden alternative Berufsmöglichkeiten mit ihr besprochen.
In einem nahe gelegenen Berufsförderwerk konnte die Patientin verschiedene
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